Wie kommt man zu einem Verlag?
von Ernst Jandl Mein erstes Buch (1), 1966 in Österreich verlegt, war nie richtig aufgetaucht, doch gründlich untergegangen. Sieben Jahre danach, 1963, war ich 38 und hatte zwei komplette Manuskripte mit Gedichten: "Laut und Luise" und "Schleuderbahn". (Dieses zweite wurde nie als solches veröffentlicht, doch die meisten Gedichte daraus sind jetzt in meinem Buch "dingfest" zu lesen. (2)) In den Sommerferien 63, noch diente ich als Lehrer, fuhr ich mit diesen beiden Manuskripten und einem Gedichtmanuskript von Friederike Mayröcker nach Deutschland, auf Suche nach einem Verlag. Ich besaß keine Empfehlungen, nur die Adressen einiger Verlage, darunter Insel und Luchterhand. Zudem beabsichtigte ich, in Frankfurt Horst Bingel zu besuchen, der bereits 1958 drei (3) experimentelle Gedichte von mir in seiner "streit-zeit-schrift" abgedruckt hatte; die drei gehörten jetzt zum Manuskript "Laut und Luise". In Frankfurt traf ich beim Insel-Verlag Klaus Reichert und durch ihn den inzwischen verstorbenen Wolfgang Maier. Letzterer war von den Proben Mayröckerscher Lyrik, die ich mit mir führte, tief beeindruckt; dafür wollte er etwas tun (was ihm in der Folge nicht gelang); mich bezeichnete er, aufgrund der Diskrepanz zwischen meinen beiden mitgeführten Manuskripten und um meine Reaktion zu testen, als einen Scharlatan - ein Urteil, das er vor seinem Tod nachweislich revidierte. Klaus Reichert, anglophil wie ich, war weniger an meinen Gedichten interessiert als an der Möglichkeit, mich für die Übersetzung des Romans "The Island" von Robert Creeley einzuspannen, was ihm schließlich gelang (4). Wie vorgesehen fuhr ich nach Neuwied, einer Industriestadt nördlich von Koblenz, dem Sitz des Luchterhand Verlags, der fünf Jahre später, mit den "sprechblasen", mein Verlag werden sollte. Jetzt allerdings erklärte man mir dort freundlich, daß für ein Manuskript wie "Laut und Luise" bei ihnen kein Platz sei; das zweite Manuskript wolle man dort behalten und prüfen. Es gelangte, alsbald, mit einer Ablehnung, an meine Wiener Adresse zurück. Der Besuch bei Luchterhand jedoch brachte mir einen Hinweis von entscheidender Bedeutung. In Stuttgart sitze ein Mann, noch Student und selbst schreibend, der für konkrete und experimentelle Dichtung außerordentliches Interesse und außerdem gute Beziehungen zum Limes Verlag habe; sein Name sei Reinhard Döhl. Der Kontakt in Stuttgart kam augenblicklich zustande, und ein Almanach, "zwischen-räume - sieben mal gedichte", der knapp vor dem Erscheinen bei Limes stand, wurde von Döhl in raschem Entschluß auf "acht mal gedichte" erweitert, indem er mich als achten mit dreizehn Gedichten aus "Laut und Luise" hineinnahm. Das Manuskript behielt er bei sich. Es sei jetzt vor allem notwendig, Gedichte in Zeitschriften, kleinen und kleinsten, unterzubringen, und dafür wolle er sorgen. Keine würde ein Honorar zahlen können, aber allein so kämen die Texte in Umlauf und der Name ins Gespräch. Als Pierre Garnier in seiner französischen Zeitschrift ein Panorama der internationalen konkreten Poesie gab, schmuggelte Döhl, mit meiner Zustimmung, meinen Namen in die sogenannte "Stuttgarter Gruppe", neben Bense, Heißenbüttel, Mon, Harig und Döhl selbst (5). Er war ein glänzender Taktiker. Den Limes Verlag, wo der Almanach "zwischen-räume" noch im Herbst 63 erschien, schätzte ich schon lange: dort veröffentlichte Hans Arp; auch Gottfried Benn; auch, wie ich später erfuhr, Ernst Schönwiese. "Laut und Luise" hätte man dort herausbringen wollen, allerdings um die Hälfte gekürzt, und nicht ungern in Verbindung mit der Abnahme einer größeren Zahl von Exemplaren durch den Autor. Die drohende Verstümmelung des Manuskriptes machte diese Aussicht zunichte. Die "zwischen-räume" erhielten eine gute Presse; durchwegs wurden zwei Namen hervorgehoben: der des Mathematikers Wolfram Menzel, und mein eigener. Bei einer Lesung der "zwischen-räume"-Autoren in der Buchhandlung Niedlich in Stuttgart hörte mich Bense und die Frau des damals verreisten Helmut Heißenbüttel. Bense war amüsiert, Frau Heißenbüttel wollte ihrem Gatten berichten. Bald las ich wieder am selben Ort. Heißenbüttel war anwesend und schlug vor, "Laut und Luise" in die Reihe der Walter-Drucke aufzunehmen, die er gemeinsam mit Otto F. Walter herausgab. (Vom Walter-Verlag hatte ich bisher kaum oder garnicht gehört: es war ein Schweizer Verlag, und streng katholisch.) Heißenbüttel verschwieg nicht die Nachteile: ca. zwei Jahre Wartezeit, einmalige Auflage als bibliophiler Tausenddruck, hoher Preis. Ich sagte zu, behielt mir aber vor, das Buch bei einem anderen Verlag herauszubringen, falls dies früher und zu günstigeren Bedingungen geschehen könne. Wozu es beinah kam, Josef Hirsal, der Prager konkrete Poet, Übersetzer von Enzensberger, Heißenbüttel, Bense und Friederike Mayröcker, heute als Dichter und Übersetzer zum Schweigen verurteilt, erfuhr von meinen Gedichten und reichte die Kunde an Enzensberger weiter. Daraufhin erhielt ich ein Schreiben von Siegfried Unseld; ich solle sogleich alle verfügbaren Manuskripte an ihn schicken. Das tat ich und hörte dann Monate nichts mehr von ihm. Eine Reise nach Frankfurt brachte die Begegnung mit Unseld und eine harte Auseinandersetzung; ich sei "der traurige Fall eines Lyrikers ohne eigene Sprache" - Gegenbeispiel: Unselds Freund Karl Krolow. Ich verbat mir jeglichen Ratschlag, zumal nicht ich mich an ihn, sondern er sich an mich gewandt hatte, packte meine Manuskripte und stellte sicher, daß es im Walter-Verlag noch den vorgesehenen Platz für mich gab. 1966 erschien »Laut und Luise« mit einem Nachwort von Heißenbüttel als Walter-Druck 12 und setzte dieser Reihe ein Ende. Dazu Otto F Walter: Damals "gab es im Walter-Verlag zwischen mir und den sogenannten Verantwortlichen eine Kontroverse über das Programm, das ich zu vertreten hatte. Interessant war, daß nicht linke Publikationen, wie es sie in steigendem Maße gab, die Sache zur Explosion brachten, sondern im Grunde eine Publikation, die einen außerordentlich harmlosen Titel trug, "Laut und Luise" von Ernst Jandl, ein Band konkreter Poesie. Da wurde es den Leuten, die im Grund ganz unbewußt, aber 'richtig reagierten', zuviel. Diese Publikation traf im Unterbewußtsein eine ausgesprochen bürgerliche Mannschaft sehr viel stärker als direkte rhethorische Äußerungen. Es kam zu einer Auseinandersetzung, an deren Ende ich fristlos entlassen wurde. Mit mir gingen sämtliche Autoren vom Verlag weg." (Aus: "Gegenwartsliteratur. Mittel und Bedingungen ihrer Produktion". Hg. Peter André Bloch. Francke Verlag, Bern 1975, S.74.) Walters Eintritt bei Luchterhand, als Leiter des literarischen Verlagsteils, führte zu einer radikalen Änderung des Programms. Sogenannte experimentelle Literatur wurde alsbald massiv ins Verlagsprogramm einbezogen - Heißenbüttel, Mon, Claus Bremer, Chris Bezzel, Friederike Mayröcker, Achleitner, Rühm, Dieter Roth, Oswald Wiener - um nur einige Namen zu nennen. Um größere Unabhängigkeit vom Stammhaus zu erlangen, wurde die literarische Abteilung nach Darmstadt verlegt. "sprechblasen", 1968, gehörte zu den frühesten Büchern der experimentellen Gattung, die bei Luchterhand erschienen. Das merkte man dem Buch, in seiner ursprünglichen Ausgabe, an: ein geschmackvoll-unverbindlicher Umschlag, dünnes Papier, zarte Lettern, eine vorsichtige Auflage von 2000 Stück, und ein Preis von umgerechnet S 75,50, der mir damals zu hoch schien. 1970 gab es eine zweite Auflage, nach ihrem Verkauf keine dritte; ich forderte die Rechte zurück. Der Erfolg dieser Art Lyrik bei Luchterhand setzte 1970 ein, mit dem Eintritt von Klaus Ramm als Verlagslektor und dem Aufbau der Taschenbuchreihe "Sammlung Luchterhand". Dort erschien 1970 als Originalausgabe mein Gedichtband "der künstliche baum" in einer Auflage von 4000 Stück, noch im selben Jahr in 2. und 3. Auflage auf l0000 Stück erhöht, mit der 6. Auflage, 1979, erreichte der Titel 18000 Stück. 1971 wurde "Laut und Luise" als Lizenzausgabe in die "Sammlung Luchterhand" aufgenommen, danach folgten, als Originalausgaben, die Titel "dingfest", 1978, 8.Auflage 1979, und "serienfuss", 1974, 2. Auflage ebenfalls 1979. Als der Verlag 1974, mit dem Ausscheiden von Klaus Ramm und der Rückkehr von Otto F. Walter in die Schweiz, wo er aus der Distanz das literarische Programm weiterbetreut, die experimentelle Literatur abzubauen begann, erschienen meine weiteren Bücher dort im Hauptprogramm, was eine wesentliche Verteuerung des Buches bedeutet, allerdings auch größere Beachtung durch Rezensenten einbringen kann. Nach Abverkauf der Taschenbuchausgabe von "Laut und Luise" gab es keine weitere Auflage, die Rechte fielen an mich zurück. Ich verhandelte mit dtv, fand die Konditionen unannehmbar und wandte mich an Reclam. Dort kam, in angenehmem Klima, "Laut und Luise" 1976 als Doppelnummer der Universal-Bibliothek heraus; 1979 folgte, als Einzelnummer, der lang vergriffene Sand "sprechblasen". Dieser enthält 69 Gedichte und gedichtnahe Texte. Eine Rezension der Ausgabe 1968 bezeichnete das Buch als eine "Nachlese" zu "Laut und Luise". Das war ein Irrtum. In "Laut und Luise" gibt es nur 4 Gedichte aus den Jahren nach 1960, die meisten entstanden 1956-58. In den »sprechblasen", in der Reclam-Ausgabe erstmals datiert, findet man etwa ein Dutzend Gedichte aus der Mitte der Fünfzigerjahre, die übrigen vier Fünftel jedoch wurden in den Jahren 1963 und 64 geschrieben; meine Deutschlandreise im Sommer 63 hatte mich dazu ermutigt. Neben der Datierung, die vielleicht nur für Germanisten interessant ist, bietet die Reclam-Ausgabe als Neues ein im November 1978 verfaßtes Nachwort, "Autobiographische Ansätze". [In alter Freundschaft, mit Genehmigung des Autors aus: Freibord 4, 1979, H. 17, S. 57 ff.] Anmerkungen und Addenda [zu: Ernst Jandl und Stuttgart] Anmerkungen Addenda
|