Wahrscheinlich ist es in den Wind geredet, Teil 2                     

Sie haben vorhin im Gespräch kurz ihre politische Haltung in den fünfziger Jahren beschrieben. Typisch für den „Ohne-mich-Standpunkt“ sind ja wohl diese Kultursatiren gewesen, – von Böll, von Hildesheimer vor allem, die „Lieblosen Legenden“. Ein bißchen erinnern mich ja auch die Sachen aus Ihrem „Projekt 3“ und Ansatzpunkte im „d'Alembert“ daran, dieses Aufgreifen des Geredes innerhalb der Kulturinstitutionen, das erinnert mich sehr stark an Hildesheimer vor allem.

Ja, aber heute würde ich einen scharfen Strich machen. „Projekt 3“ war vom Ansatz her und auch in der Durchführung, auch daß das jetzt 3 Bände geworden sind, in einer Weise ein Rückgriff auf Dinge, die ich vor 1950 gemacht habe. Ich hab da Ende des Krieges und direkt nach dem Krieg, vor allem 1947, eine große Menge Geschichten geschrieben, die alle nicht so recht waren – in dem „Text und Kritik“-Band sind mal einige erschienen -, und dies war immer etwas, das im Hintergrund war. Die längste hatte den Titel „Adolf Hitlers Sohn“, und die hatte ich einmal wiedererzählen wollen, das hat aber nicht geklappt, und dann habe ich ja diese Liebesgeschichte für den Stern – das hat auch nicht geklappt. Ich würde auch sagen, die Vorstellung, eine in jungen Jahren geschriebene Sache, mit der man nicht zufrieden war, die auch unvollkommen war, durch Rückerzählen und gleichzeitiges Rückerinnern an die Dinge, die dort erzählt sind, an die wirklichen Dinge, zu erfassen, das ist ein Vorsatz, den ich aber nicht hingekriegt habe. Und mit Hildesheimer ist es so: Für mich läuft das, je weiter es geht bei Hildesheimer, immer mehr leer, das ist für mich diese Geschichte mit der erfundenen Biografie, mit dem Engländer (Marbot), das ist für mich vollkommen tot. Wenn das Mit-dem-Material-spielen, dem Erzählmaterial spielen, so weit geht, dann würde ich sagen, hat das keinen Sinn. Da würde ich für mich sagen, da sind in dem „Projekt 3“, nicht in allem, aber immer wieder Dinge, wo beides gemacht wird, wo ich direkt drin bin, wo ich aber ungehemmt was aufgreife, mich da und da herumbewege, und wenn ich je noch etwas Unfangreicheres mache, dann würde das auch eher in diese Richtung gehen. Auch wenn ich jetzt so im 19. Jahrhundert herumlese, kann es sein, daß eben auch Teile davon Material werden können, wobei dann auch bewußt eine richtige historische Dimension mit hineinkommt. Das ist ein Punkt, den ich aber selber gar nicht übersehe und vor dem ich selber Scheu habe. Aber solche Dinge waren natürlich in den fünfziger Jahren überhaupt nicht sichtbar. Die Frage damals war ja für mich, wie kann man überhaupt was sagen, ohne daß das schon, wenn ich bestimmte Wörter brauche, wenn ich bestimmte Satzkonstruktionen bilde, daß das sofort wieder falsch wird, wenn das auf dem Papier steht. Und da war die eine Seite, die zum Teil durch frühe Wittgenstein-Lektüre gekommen ist, aber auch von der Musik, von der Idee, daß die Pausen mitsprechen -das hab ich bei Stock hausen gehört damals – war eben diese Geschichte mit den Sätzen, daß man Sätze bildet und die nicht ausdrücklich verbindet. Aus dieser Vorstellung hat sich dann die Idee ergeben, daß man das Ganze auch noch reduzieren kann, bis zu Texten, die nur noch mit Indexwörtern operieren. Das war zunächst so gefühlsmäßig eher, hat sich aber in dem zweiten Band, „Topographien“, schon eher abgezeichnet, vor allen Dingen in den „Grammatischen Meditationen“, die am meisten von der Seite Gertrude Steins beeinflußt waren. Von daher kam dann die Idee, solche Prozesse einzuführen. Der erste durchlaufende Prozeß ist im „Textbuch 2“, glaube ich, abzulesen, wo der Anfang – da ist ja häufig gesagt worden, daß das kafkaesk ist oder sowas, aber das hat mit Kafka eigentlich nichts zu tun, das kommt von Michaux. Ich hab damals, durch Leonhard vermittelt, alles, was ich kriegen konnte von Michaux gelesen, hab es sogar auf Französisch gekauft, hab auch versucht zu übersetzen, und von Michaux bis zur „Politischen Grammatik“ dann („Verfolger verfolgen Verfolgte...“) da war für mich ein Prozeß drin in dem Ganzen, und das hat die Idee der Textbücher gerechtfertigt. Wobei auch das mit den Texten in Umlauf gekommen ist – es gab so einen Schlag, wo das Wort Text plötzlich da war; Bense hat es benutzt, 1960 in Aschaffenburg sprachen plötzlich die Kritiker nur noch von Texten. Das war völlig unerklärlich, weil die ein solches Wort vorher gar nicht verwendet hatten. Und mein Titel ist eigentlich gar nicht von mir erfunden worden, sondern von Andersch, weil Andersch mir eines Tages damals sagte, wenn Sie sowas machen, warum sagen Sie nicht bloß einfach „Textbuch“. Ich hab das aufgegriffen, weil ich dachte, „Textbuch“ hat sowas Zweideutiges, es gibt Textbücher für Opern, und man kann vom Text sprechen im philosophischen Sinne – die Herstellung eines Textes wieder. Daher kommt auch das Format – das Format ist das von amerikanischen Fotojahrbüchern; in der ersten Zeit hatte ich die Idee: Textbücher und Bilderbücher, aber das hat sich nie realisiert. Und dadurch, daß jetzt im zweiten Textbuch so ein Prozeßcharakter da war, kam dann die Idee, das weiterzuführen, und das führte dann bis „Textbuch 5“, das noch einmal reduzierte Geschichten macht und dann eben schon etwas weiter mit „Textbuch 6“ mit den großen Montagen. Da kam das andere Prinzip, das sich in diesem Prozeß auch zeigte, nicht mit eigenen Sachen zu reden, sondern im Zitat zu reden und das zu montieren und zwar zu montieren nicht nach Plan oder nach Idee oder nach Fingerspitzengefühl, sondern zufällig.

Sie haben einmal über Ihren Text „Deutschland 1944“ gesagt, das sei eigentlich durch ein PatienceSpiel entstanden.

Die sind alle so entstanden, und das geht auch weiter zurück noch, das kam auch mit Bense. Die Frage der Kybernetik, des Einflusses der Kybernetik auf Literatur bedeutete ja auch, daß man mit bestimmten Problemen sich beschäftigte, zum Beispiel mit dem Problem Zufall. In der Zeit kannte ich ja schon zum Beispiel Musik von Cage, da gabs dieses Retrospektivkonzert 1958, was in einer Schallplatten-Kassette war, habe ich in den sechziger Jahren gekauft, war nicht so einfach zu kriegen damals, da stand eben im Textheft drin, daß Cage ein Blatt Papier hingelegt hat, und die Fliegen haben drauf geschissen und dann hat er Linien durchgezogen, und das war die Komposition. Darüber habe ich mir Gedanken gemacht, und vom Wort aleatorisch her war immer die Frage mit den Würfeln da. Das hab ich durchprobiert, und ich bin seit dem Krieg ein kontinuierlicher Würfler. Es gibt ein Spiel mit fünf Würfeln, das nennt sich auf Deutsch Hindenburg, das wird so in Kneipen gespielt. Ind von dem kam die Idee, mit drei Würfen 12345 zu machen, 23456. ich hab immer mit sechs Würfeln, neuerdings heute mit neun Würfeln gewürfelt, ich hab aber immer festgestellt, wenn man das auf vorgeprägte Dinge anwendet, seien es Sätze oder Wörter oder seien es jetzt

visuelle Dinge, die Verteilungsdichte nicht gleichmäßig gemacht werden kann. Es gibt ein Problem, wie ich mit Würfeln eine gleichmäßige Dichte hinkriege; es ballt sich an manchen Stellen, und an anderen zerfasert es. Ich war nach dem Krieg, eigentlich so zwischen 45 und 52, auch ein eifriger Patience-Leger; also, ich bin ein schlechter Spieler, weil ich nicht gut mit jemand anders zusammenspielen kann, aber ich kann relativ gut für mich alleine – das war noch so eine Nachkflegsgewohnheit, Patiencen zu legen, manchmal abends, wenn ich nichts anderes mehr machen konnte. Und ich hatte ein PatienceSpiel, so ein volles, mit 104 Karten, und hab dabei festgestellt, daß die Verteilungsdichte, wenn man neu mischt, ziemlich gleichmäßig ist. Und dann hab ich allmählich eine Methode entwickelt, ich habe die Texte gesammelt, habe sie numeriert und habe ein Schema aufgeschrieben mit den Patiencekarten und habe die Textteile, manchmal zufällig manchmal gleichmäßig darauf verteilt, dann gemischt und nach dem Auslegen das durcheinandergemacht. Und dann war ein Problem, wenn ich jetzt 104 Nummern zu besetzen hatte – ich hab 57 oder 58 Textteile, da ist der Rest Verdopplung. Das hab ich verschiedentlich gemacht, hab also mit verschiedenen Methoden die Verdopplung einzeln ausgelegt und eingetragen und hab der Reihe nach aus dem Vorherigen die Karten rausgezogen und dann dahin drangefügt und so. Jedenfalls hab ich mit Hilfe der Zeuteilung von Sätzen und Einzelteilen auf die jeweilige Patiencekarte ein Grundschema gemacht, das ich durch Mischen verändert habe und dann die Texte ausgelegt. Das hab ich im einzelnen versucht vorher schon, das gilt systematisch dann für das gesamte „Textbuch 6“, das ist vollkommen so entstanden, wobei zum Beispiel die Einzelstücke im „Textbuch 6“ so einen Kern haben, bei „Deutschland 1944“ ist es der längere Teil Wehrmachtsbencht. Bei „Eine Engländerin aus Birmingham“ ist es der Zeitungsbericht. Bei „Uber einen Satz von Sigmund Freud“ ist es mit dem Bahndamm, das stammt aus den Tagebüchern von Thoreau. Und in flMengen mit auf~eprä~ter Metrik“ sind es Teile aus dem Rechenduden, Mengenlehre und so. Diese Dinge sind auch entweder nur einmal oder mehrfach, weil die dann so Kerne bilden, die sind aber nur zufällig da reingekommen. Und da hat sich dann noch etwas entwickelt, ich bin also zweigleisig verfahren, ich habe bei „Mengen mit aufgeprägter Metrik“ so Restwörter, teils auch aus Schlagerrefrains – na denn, und denn nicht, und kann ja nicht, und so – die einzeln gemacht waren, eingefügt. Das hat im letzten „Textbuch“ dazu geführt, daß ich dann das ABC reingebracht habe. Das ABC ist dann wieder auch zufällig reingeschnitten in das andere. Das sind also zwei zufällig hergestellte Stränge, die ineinander gesteckt waren, so daß das sozusagen auf zwei Ebenen läuft.

Und jetzt noch ein Punkt dazu: Das hab ich dann in Großkonstruktion angewandt bei „d'Alemberts Ende“. Das ist von den einzelnen Kapiteln und von der Kapitelfolge so entstanden. Am extremsten ist es in „Durchhauen des Kohlhaupts“; da ist es aber auch so, daß ich die Ubersicht verloren habe und daß zum Beispiel „KrazykatzBremenwodu“, das ist ja eine Aufplusterung des früheren „Bremenwodu“, weil das ein Hörspiel für Herrn Otte in Bremen war, ursprünglich, für die Tage der Neuen Musik, da sind die übereinandergesprochenen Teile durch den Druck so durcheinandergekommen, daß ich das nicht mehr hab rekonstruieren können. Als ich die Fahnen zum erstenmal gesehen habe, hab ich gedacht, ich krieg einen Schlaganfall, weil das so durcheinander war, daß das überhaupt nicht mehr zu entwirren war. Und dann hab ich es so gelassen. Es ist bis heute nicht – es ist eigentlich falsch, wie es da gedruckt ist, in den Passagen.

Danach habe ich das wieder aufgegeben, und was dann übriggeblieben ist, war die Fixierung auf die Zahl 13.

Das wollte ich eben fragen – ist die auch durch die Patience entstanden –

Ja.

– weil 104 ist acht mal dreizehn, also in Achterreihen gelegt?

Ja, weil eine Farbe immer 13 ergibt. Ja, das ist die eine Seite. Die andere Seite war natürlich auch, wie man sich entscheidet, ob jetzt für Zweiersysteme mit gleichmäßigen Proportionen oder für ungleichmäßige Proportionen. Das war am Anfang ja so, daß ich zwischen 7 und 8 und 9 geschwankt habe und schon auch so eine gewisse Neigung für das Ungleichmäßige hatte. Dann ist es natürlich auch so: Wenn man sowas macht, wird es so eine Art Korsett, man kann sich da schwer von trennen, man fällt darauf zurück, und die Dinge, die ich jetzt in den letzten Jahren gemacht habe, ursprünglich sollten da Kurzerzählungen sein oder so anekdotische, an „Projekt 3“ anschließend. Das ging nicht, und dann habe ich überlegt, ob ich nicht so eine numerierte grammatische Entwicklung mache, die dann wieder bei 13 hing. Da war ich letztens mal wieder in Schwierigkeiten, weil ich nicht wußte, ob ich das jetzt machen soll. Beim Hören haben manche gesagt, was stört, sind eigentlich diese Zahlen. Das war im letzten Jahr im November bei den Hamburger Literaturtagen (1983): Beim Mittagessen hab ich mit Peter Bichsel darüber gesprochen, und der sagte, jetzt, bei dem Zählen, ist mir plötzlich klargeworden, was ein Plot ist. Wenn ich von 1 bis 13 zähle und dann Sätze habe, dann entsteht an einer Stelle ein Plot, mal ein bißchen früher, mal ein bißchen später. Das war für mich eigentlich die Bestäügung, das durchzuführen, das so zu lassen. Das ist eine Frage, das muß ich jetzt in der allernächsten Zeit lösen, es ist genug da, ich kann das jetzt machen. Natürlich wäre es auch konsequenter, jetzt auch wieder bei 13 zu bleiben und 3 x 13 gleich 39 solcher Dinger zu machen. Dann könnte der Titel auch heißen „3 x 3 x 13...“ oder korrekt „13 x 3 x 13...“ Die andere Versuchung ist für mich im Moment – und es geht aus dem Gespräch jetzt die Konsequenz ganz klar hervor, zu sagen, ich mache jetzt nochmal ein „Textbuch 7“. Das würde verschiedene Punkte dann fixieren und auch klären. Das wäre über einen ziemlich größeren Abstand, eigentlich fast zwanzig Jahre, eine Wiederaufnahme dieses Prozeßcharakters von damals und kann aber wahrscheinlich nicht fortgeführt werden. Das würde nur klären, wo das damals drinlag und es würde von meinem Standpunkt aus zeigen, was man jetzt methodisch-konstruktiv damit leisten kann. Da ich wahrscheinlich nicht drumrum komme, jetzt im Sommer bei der Uni (Hamburg) an dieser Gemeinschaftsvorlesung teilzunehmen – da sind immer Zwei, das hat Ligeti so eingerichtet, der ja von der Musik da teilnimmt. Es gibt zwei theoretische und einen mehr selbstinterpretierenden Teil, wahrscheinlich komme ich jetzt dazu, daß ich das dann auch einmal im Zusammenhang sage, die Zahl 13 als Formprinzip, oder als Konstruktionsprinzip. Da könnte ich all diese Dinge auch erklären und könnte sozusagen eine gewisse theoretische Unterschicht darunterziehen, die zeigt, was man machen kann, wenn man keine überlieferten Formkategorien mehr hat. Und deshalb wäre theoretisch davorzuziehen oder davorzuschieben, was ich schon sagte, daß man eine solche Vorstellung kontrastiert zu der traditionellen Konstrukilon des Sonetts. Da wären so ein paar Punkte abgedeckt, die man heute diskutieren kann.

Wobei es sicherlich schwierig ist, das wieder mit den musikalischen Formen zu verbinden.

Kann ich gar nicht, weil ich mit Ligeti nicht auf einen Nenner komme, dann müßte ich, was weiß ich, Cage haben. Ligeti bezieht sich vor allem auf Webern und da ist eben für mich doch jetzt im Lauf der Zeit eine große Zweideutigkeit, weil ich nicht weiß, wenn ich das jetzt unter dem Gesichtspunkt Form und Konstruktion nehme, da kann ich zwar sagen, bei Webern ist eine Detailkonstruktion drin, also ein Abwägen der Einzeltöne, die ganze formale Entwicklung, die traditionelle, ist reduziert auf ein Geflecht von Einzeltönen; gleichzeitig, wenn ich von hinten her komme, von den späten Texten von der Fajone, die Webern vertont hat, müßte ich sagen, wenn ich da mit Inhalt operiere – kann ich tun, aber dann ist der Inhalt von Weberns Musik anthroposophisch. Das würde eine völlig andere Einstufung ergeben. Und das kann man auch belegen bei Webern: Sein Lieblingsbuch war „Die Offenbarung des Holunderbaums“ von Bruno Wille. Wille war der mit der Freien Volksbühne in Berlin, der so eine in die Nähe der Anthroposophie gehende Naturphilosophie vertreten hat. Wenn ich das sage, dann springt der Ligeti in die Luft. Aber man kann da nur durchkommen, wenn man an die Musik auch solche Fragen stellt. Was man auch bei Schönberg zum Beispiel machen kann, weil da ganz massive weltanschauliche Hintergründe auch drin sind. Das geht dann durch, das geht bis zu Cage, mit I Ging, mit Pilzesammeln und Pilzeessen usw.

Ist es nicht bei Ihnen auch ein Gesichtspunkt gewesen, auch bei dem Ansatz der von Ihnen mit-herausgegebenen „Hermannstraße 14“, Gegengewichte im Sinne der Verbreitung der Konzepte offener oder experimenteller Literatur gegen die in den Feuilletons gängigen oder herrschenden Ansichten zu setzen? Also das risikofreuige Element hervorzuheben gegen das Dichtmachen, was ja häufig auch die Orientierung der Verrißpraxis ist.

Also ich bin natürlich immer mehr für das Risiko gewesen, gegen das Dichtmachen, und vor allem gegen die Systematisierungen der Rangordnungen, daß da ständig neue Berühmtheiten geboren werden, man darf nicht den und den, sondern immer quer dazu, gegen den Strich. Das jetzt als Konzept zu entwickeln, finde ich schwierig. Ich habe ja nie Bücher gemacht, sondern ich habe nur Sammlungen gemacht von Dingen, die ich publiziert hatte, außer den letzten, mit den „fliegenden Fröschen“, da ist ein Teil noch extra geschrieben dafür, aber das war auch schon mehr doppelt gegen den Strich. Ich habe von der Anfangszeit an immer mal wieder Gelegenheit gehabt und mit dem Gedanken gespielt einer Zeitschrift. Ich habe verschiedene Angebote gehabt, – das sich vorzustellen und zu spielen damit, ist reizvoll, und eigentlich, in der Regel, wenn es soweit war, habe ich eher die Praxis gescheut. Und das, würde ich sagen, lag auch ein bißchen daran, weil es mir schwergefallen ist, das jetzt ausdrücklich oder expressis verbis zu formulieren als Konzept. Dies mit dem „Jahrbuch für Offene Literatur“, der Begriff der Offenen Literatur la ja in der Zeit in der Luft, da war auch ja schon von Eco formuliert worden, und das war mehr so, daß ich das Jahrbuch machen wollte und gedacht habe, man muß es unter einen Begriff stellen, um auch mal die verschiedenen Sachen darunter zu fassen. Da liegen gewisse Schwierigkeiten, die schon da waren, als ich diese Frankfurter Poetik-Vorlesungen angeboten gekriegt habe, wo das auch daran lag, daß das ganz schnell gehen mußte, der eigentliche Mann, der das machen sollte, war Böll gewesen. Böll hatte abgesagt, dann war als Ersatz Enzensberger gewesen. Enzensberger hatte auch abgesagt, und ich kriegte es, ich weiß nicht, vier oder sechs Wochen vorher angeboten und mußte die einzelnen Vorlesungen, die ja ausgeschrieben waren, ad hoc schreiben, neben allem anderen . Das ist ja so eine Art theoretischer Bogen geworden, wo ich heute in vielen Punkten sehr skeptisch bin, ob man das so machen kann. Aber das ist halt auch so, man entwirft das unter Druck, und was besseres kriegt man nicht zustande. Wer das dann liest, wer aus einer neuen Voraussetzung und Situation kommt, der muß das halt kritisch lesen, finde ich. Also ich bin überhaupt nicht für festgelegte Systemailsierung.

Das heißt, auch nicht für Schulenbildung?

Im Grunde nicht, nee. Ich meine, die eine Seite, daß ich so dazwischengelegen habe, Gruppe 47 und konkret, da kam noch als Drittes damals, daß ich mit Grießhaber und seinem Nreis, der ja auch eine literarische Auswirkung hatte, bekannt wurde. Das eine war die Neugier, daß ich da so ein breiteres Feld abstekken wollte, das andere war aber auch meine Unlust, mich für irgendeine solche Doktrin zu entscheiden, oder überhaupt etwas als Doktrin anzusehen. Das hab ich immer gehabt und das hat, glaube ich, zwischendurch zu Reaktionen geführt, die wahrscheinlich unvernünftig waren. Das war einfach um des Widerspruchs willen, um auf die andere Seite zu gehen.

Eine letzte Frage, zum aktuellen Interesse am Werk von Paul Wühr. Er hat den Bremer Literaturpreis 1984 bekommen, ist aber dort ein sehr ungeliebter Preisträger. Können Sie sagen, was Sie an dem Werk von Paul Wühr interessiert, mit dem Sie sich ja verschiedentlich kritisch auseinandergesetzt haben. Verstehen Sie sich ein wenig auch als Propagandist solcher Ansätze und solcher Arbeiten?

Ich würde nicht sagen, Propagandist. Ich bin daran interessiert, und das hat ja eine längere Vorgeschichte. Ich kannte Paul Wühr so als Namen eigentlich mehr aus dem Hörspielbereich und hab dann von Herrn Kolbe, damals beim Hanser-Verlag, das „Gegenmünchen“ gekriegt, mit der ausgesprochenen Bitte, was dafür zu tun, also mich als Propagandist zu betätigen. Und ich hab das („Gegenmünchen“) dann gelesen und fand das damals – das hab ich jetzt nicht wieder kontrolliert - etwas überkonstruiert. Also ich fand da die Konstruktion etwas zu auffällig. Und das hat sich reduziert dann bei den folgenden Dingen, vor allen Dingen bei den O-Ton-Hörspielen, wo ich dann wieder dafür war. Vor allen Dingen, also mehr noch für die Original-Hörspiele als für die Umschriften, weil bei den Hörspielen mehr dies Geschnittene herauskam. Und dieses Zwischen-Redesprache-und-Schriftsprache-stehen, was bei Paul Wühr ja ein entscheidender Punkt ist, hat mich interessiert. Bei dem „Falschen Buch“ jetzt gibt es den anderen Gesichtspunkt, daraus jetzt einen großen Bogen zu machen. Das ist so ein Projekt, wo eben alles hineinpaßt, wo man sagen kann, da ist mal so eine Summe gezogen worden, da ist der Versuch gemacht worden. Ich meine, wenn man kritisch ist, läßt sich da und dort vielleicht auch was finden, wo man anhaken kann. Das spielt aber im Grunde keine Rolle. Sondern ich glaube, daß er im Lauf der Jahre, in denen er daran gearbeitet hat, wirklich etwas Beispielhaftes zustandegebracht hat. Und ich würde es eigentlich parallel sehen zu dem viel früheren „herzzero“ von Franz Mon. Und das ist ja überhaupt nicht in dem Sinne wahrgenommen worden, aber „herzzero“ war für mich auch eine Summe und immer, wenn ich darin wieder lese, sehe ich, das hält für mich stand. Auch da gibt es vielleicht einen kritischen Gesichtspunkt. Das ist dies etwas Rauhe, was Franz Mon manchmal hat, dies sehr Direkte, ich kanns jetzt gar nicht anders ausdrükken. Aber das spielt keine Rolle. Das ist sechziger Jahre, fünfziger und sechziger Jahre, das steckt da alles drin. Mit Rückblicken weiter zurück. Und leider, das ist eine generelle Kritik an der Kritik heute, daß eben Dinge wie „Blechtrommel“, „Deutschstunde“ oder sowas an der obersten Spitze der Skala stehn, obwohl man auch sagen kann, der „Butt“ ist auch eine Summe in gewisser Weise. Aber es ist viel zu viel Pseudo drin. Im herkömmlichen Sinne würde ich sagen, ist der „Butt“ einfach ein falsches Buch gewesen. Und das „Falsche Buch“ ist ein richtiges Buch. Daß dieser Gesichtspunkt - das braucht nicht viel zu sein, das braucht ja nur ein wenig zu sein – nicht beachtet wird, das ist mein Einwand gegen die Kritik; und daß ich von daher gesehen die Unbildung der Kritik feststellen muß. Wenn man das jetzt von dem Außenpunkt her ansieht, würde ich sagen, die „Spielregel“ von Leiris ist für mich auch so eine Summe, und ich hab ja gedacht, wenn man das nur genügend propagiert, weil das ja jetzt ein alter Mann ist, und weil das von Frankreich kommt, wird das eher akzeptiert. Aber ich sehe, daß das auch so durchrauscht, und kein Mensch achtet drauf. Weil – das, würde ich sagen, wäre auch so ein Maßstab. Und aus solchen Dingen erst könnte man eine Art Maßstab entwickeln, meiner Ansicht nach. Aber wahrscheinlich ist es in den Wind geredet und ich mach das noch weiter, solange ich lebe und solange mein Verstand das noch mitmacht. Das andere läuft so weiter.

Teil 1