Die Ausstellung "Deutsche und Japanische Visuelle Poesie
- 'Gesten als Weltprozeß'"
von Shutaro Mukai Erfreulicherweise findet im Museum of Contemporary Japanese Poetry, Tanka and Haiku die Ausstellung "Deutsche und Japanische Visuelle Poesie - 'Texte sehen'" als Sonderausstellung dieses Jahres endlich statt. Über 220 Werke von insgesamt 69 Dichtern und Künstlern aus Japan und den deutschsprachigen Ländern sind hier versammelt. Die Verwirklichung dieses Ausstellungsprojekts weist uns vor dem Aufbruch in das 21. Jahrhundert auf diverse Bedeutungen und neues Denken hin. In Japan gab es bisher zwei internationale Ausstellungen der "Visuellen Poesie" in gleich großem Stil: Die erste war im Jahre 1964, in der Periode der neuen Bewegung der Poetik, die Ausstellung "Konkrete Poesie" aus fünf Ländern, d.h. Brasilien, Deutschland, Schweiz, Frankreich und Japan (im Sogetsu-Kaikan, Tokio) und die zweite war 1976, zum 100. Geburtstag von T.F. Marinetti "Ein Versuch neuer Poesie / Parola Immagine Oggetto" (in Instituto ltaliano di Cultura di Tokyo) mit japanischen und italienischen Dichtern. Man kann sagen, unsere Ausstellung ist trotzdem die erste internationale Ausstellung in Zusammenarbeit vieler Dichter, die sich in Japan und Deutschland als Pioniere betätigten. Der Anlaß unserer Ausstellung war die letzte Ausstellung "Visuelle Poesie aus Japan" 1997 in Hamburg, die von Professor Klaus Peter Dencker organisiert wurde. Professor Dencker ist zur Zeit wieder als Organisator unserer Ausstellung auf der deutschen Seite tätig. Sie war als eine Veranstaltung zum Gedächtnis der Oberbürgermeistertagung der Hamburger Partnerstädte konzipiert. Zudem war sie bis Frühling 1999 in Gmunden in Osterreich und in Freiburg, Trier. Frankfurt, Saarbrücken in Deutschland als Wanderausstellung geplant. Schließlich sollte sie in der Hamburger Partnerstadt Osaka stattfinden. Aber diese letzte Ausstellung wurde aus verschiedenen Gründen nicht verwirklicht. Diese Ausstellung in Osaka wurde jetzt als Sonderprogramm im Museum of Contemporaty Japanese Poetry. Tanka and Haiku zur internationalen Ausstellung "Deutsche und Japanische Visuelle Poesie" umgeplant. Deshalb wurden die Dichter aus Japan. die an der vorangegangenen Ausstellung in Hamburg teilgenommen hatten, erneut zusammengestellt und fast alle teilnehmenden Werke sind neu erschienen. Die Teilnehmer der deutschen Seite, die Professor Dencker ausgewählt hat, kommen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus deutschsprachigen Ländern und Nachbarländern. Danunter sind die Franzosen Ilse + Pierre Garnier, der Österreicher Heinz Gappmayr und der Amerikaner Emmett Williams, der jetzt in Deutschland wohnt usw. Sie sind Pioniere der Visuellen Poesie. Zudem werden für uns japanische Organisatoren viele neue Dichter vorgestellt. In diesem Sinne kann die Ausstellung "Deutsche und Japanische Visuelle Poesie", die Perspektiven für die Zukunft zeigt, als Zusammenarbeit beider Länder in Museum of Contemporary Japanese Poetry, Tanka and Haiku in Kitakami endlich verwirklicht werden. Überblicken wir hier geschichtlich kurz die Entwicklung der "Visuellen Poesie". Es sind schon fast 50 Jahre vergangen. seitdem die Kooperation "Konkrete Poesie" in ihrem Ursprung von dem deutschen Dichter Eugen Gomringer und Dichtern der Noigandres-Gruppe aus Brasilien angeregt wurde. Der analoge Versuch, der heute "Visuelle Poesie" genannt wird, wird seit jeher als Aktion der Menschen zum Schaffen und Dichten betrachtet. Vor dem Hintergrund der modernen technischen naturwissenschaftlichen Revolution sind die Erscheinungen typischer moderner Kunst zusehen: z.B. "Un coup de Dés jamais n'abolira le Hasard" von Stéfane Mallarmé, in der sich die Wörter wie Konstellationen auf dem Papier verteilen; oder "The Chinese Written Character as a Medium for Poetry" von Ernest Fenollosa, der in der visuellen Verbildlichung von Chinesischen Schriftzeichen eine Entdeckung der ursprünglichen Energie der Wörter fand. Seit dem revolutionären Versuch von Mallarmé und dem impulsiven Vorschlag von Fenollosa sind schon 100 Jahre vergangen; Das war am Vorabend des 20. Jahrhunderts, der mit der Gegenwart vergleichbar ist. Vom Anfang des 20 Jahrhunderts bis zu den 3Oer Jahren gab es avantgardistische Bewegungen wie z.B. Futurismus, Dadaismus und Konstruktivismus. Dann nach dem zweiten Weltkrieg in den 50er Jahren entstand aufs neue die Konstellation, Visualisierung, Verbildlichung der Buchstaben Wörter und Laute. Der Strom der "Konkreten Poesie" von dem obengenannten Gomringer u.a. beschäftigte sich nicht nur mit den Stoffen der Sprache, sondern auch ausgebreitet mit z.B. Figur. Morphem, Photo, Collage, Farben. Phonem usw. Diese sind in die Bildliche, Hybride hylischer Stoffe, die Grenze überschreitend, umgewandelt. Die Vielfältigkeit der Sprache wurde in der heutigen umfassenden "Visuellen Poesie" eingeschlossen. Wenn man an den Zusammenhang der japanischen mit den internationalen Bewegungen der Konkreten/Visuellen Poesie denkt, wird klar, daß zwei Dichter in der internationalen Entwicklung eine führende Rolle gespielt haben. Der eine ist selbstverständlich ein vertretender Avantgardist Katue Kitasono (1902-78), der früh ein Paradigma von "Visueller Poesie" vorschlug und seinen VOU-Klub (gegründet 1935) führte. Der andere Dichter ist der Gründer der ASA-Bewegung (gegründet 1964). Seiichi Niikuni (1925-77), dessen Dichtung zufällig mit der Anschauung der "Konkreten Poesie" im Einklang stand und vor allem im Spatialismus von Pierre Garnier große Sympathie und Solidarität fand. Seit der Auflösung von VOU und ASA wegen des Todes beider Dichter und der Einstellung der Zeitschriften sind schon mehr als 20 Jahre vergangen. Später in den 80er Jahren bis 90er Jahren sind die Bewegungen wie "Visuelle Poesie" inmitten drastischer Elektronisierung, Informierung und Multipolarisierung in Schwierigkeiten geraten. Die Anhaltspunkte sind diffus geworden. Die Poeten haben durch individuelle Tätigkeiten eigene Welten geschaffen. Aber die Bemerkung von Hiroo Kamimura interessierte uns, daß das Interesse an der japanischen "Konkrete/Visuelle Poesie" im Ausland nach der Auflösung von VOU und ASA noch höher geworden ist. Denn inzwischen fanden in Deutschland mehrmals japanische Sonderausstellungen statt und wurden Sonderberichte herausgegeben. Dadurch konnten wir nach den 70er Jahren durch die Ausstellungen und Sonderberichte im Ausland die japanische "Visuelle Poesie" überblicken und jede Identität feststellen Auch die Ausstellung "Visuelle Poesie aus Japan" von Professor Dencker in Hamburg hat uns neue Perspektiven gezeigt. Über das Konzept und die Zusammensetzung der Teilnehmer sollte der andere Bericht über diese Ausstellung von Hiroo Kamimura herausgezogen werden [> Ein Rückblick auf die Wanderausstellung "Visuelle Poesie aus Japan" durch Deutschland und Österreich. Eine Vorgeschichte der Ausstellung "Deutsche und Japanische Visuelle Poesie" in Kitakami.] Professor Denckers umfangreicher Aufsatz, der unserer Ausstellung beigefügt ist, hat die heutige Bedeutung und die diversen Kontexte der Visuellen Poesie wie z.B. den zivilisationsgeschichtlichen Hintergrund einschließlich der Spannweite der Kritik ausführlich erinnert. Er ist sehr aufschlußreich. Zum Schluß möchte ich die Ansicht, die ich aus den Werken und Erklärungen der einzelnen Dichter gewonnen habe, hinzufügen. Parallel mit der Vielfältigkeit der Werke erscheinen gemeinsam in vielen Erklärungen diese Wörter: der Grenzbereich, transzendental, die Grenze überschreiten, Interdisziplinarität, Netzwerk, poetisches Denken, Dialog der Kunst mit der Naturwissenschaft, Hybride der Texte, Integration mehrerer Kulturen, mehrsprachig, weltbeschreibend, das Werden der Welt, das Werden des Weltalls, Holistisches Prinzip, Erneuerung, ein neues Leben - worauf zielen die Bedeutungen dieser Wörter? Ich möchte sie "Gesten als Weltprozeß" nennen, weil das Wort "Geste" ursprünglich in Japanisch, Deutsch, Englisch und anderen europäischen Sprachen gemeinsam "durch Schütteln die Lebenskraft aufwecken", "lebendige Vitalität voll zur Geltung bringen", "Bewegung des Kindes im Mutterleib", "Wiedergeburt" bedeutet. Also. die "Geste" ist eine Tat der Regeneration und Wiedergeburt. Die "Geste" ist jedesmal neu, einmalig, vielfältig und ein die Grenze überschreitender Prozeß des Weltwerdens. Man könnte sagen, Visuelle Poesie ist ein Weltprozeß des Werdens / der Wiedergeburt von "Poiesis als Geste". [Aus Katalog: Texte sehen. Deutsche und Japanische Visuelle Poesie. Kitakami 1999, S. 6-7.] |