Referate 1963 - 1974 für "Germanistik". Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. Tübingen: Niemayer

von Reinhard Döhl


Borchert, Wolfgang: Die traurigen Geranien und andere Geschichten aus dem Nachlaß. Hrsg. mit e. Nachwort von Peter Rühmkorf (Reinbek): Rowohlt (1962)

In seiner Borchert-Monographie (Hamburg 1961, vgl. diese Zschr. III, Nr 1616) teilt Peter Rühmkorf auf den Seiten 132 f. eine Liste von Titeln mit, die Wolfgang Borchert kurz vor seinem Tode in Basel notierte. Der jetzt von Rühmkorf edierte Prosa-Nachlaß enthält 16 nach dieser Liste in "Das Gesamtwerk" fehlende Geschichten, ferner 2 Geschichten ("Die Mauer", "Merkwürdig"), die nicht in der Liste erscheinen. Dagegen fehlt ein in der Liste aufgeführter Titel: Unser "Pusteblumendasein", der Anfang eines geplanten Romans "Persil bleibt Persil". Der vorliegende Band wäre also geeignet, das Borchert-Bild besser abzurunden, wenn der Herausgeber Borcherts "Sinn für Syntax und Wortstellung ..., sein Ohr für Lautfolgen, seinen Nerv für Neubildungen" nicht nur im Nachwort gerühmt, sondern auch in der Textgestaltung respektiert hätte. Anhand einiger Vergleiche mit kurz nach Borcherts Tode erschienenen Erstdrucken lassen sich allein für die Geschichte "Das Holz für morgen" 28 Varianten feststellen! Auf diese verfälschende 'Bearbeitung' werde ich werde ich daher an anderer Stelle noch ausführlicher eingehen.

Germanistik. Jg. 4, H. 2, April 1963, S. 337
 

Kulka, Georg: Aufzeichnung und Lyrik. [Teils.] Mit e. Nachw. hrsg. von Hermann Kasack und Helmut Kreuzer. - (Stuttgart: E.Walther [Hegelstr. 14] 1963). Reihe "rot", Text 10

Hermann Kasack, der mit dem Österreicher Georg Kulka (1897-1929) zum Freundeskreis um Przygodes "Die Dichtung" gehörte, und Helmut Kreuzer erklären in ihrem biographischen Nachwort, daß das Werk Kulkas als "später, eigenwilliger, dennoch charakteristischer Beitrag zur Lyrik des Expressionismus" zu werten ist und zugleich "Belege für eine Texttheorie" bietet, die "die ästhetische Beschaffenheit eines Textes" aus den "statistischen Überraschungen in den aufgewendeten Materialien (Worte usw.) und ihrer Verteilung ableitet". Das zweite Moment bewog Max Bense, diese Auswahl und ihre Publikation anzuregen.

Germanistik. Jg. 4, H. 4, Oktober 1963, S. 725
 

Pfeiffer, Johannes: Die dichterische Wirklichkeit. Versuche über Wesen und Wahrheit der Dichtung. - Hamburg: R. Meiner (1962)

Pfeiffers Buch ist eine Sammlung von mit einer Ausnahme ("Über Josef Hofmiller") in den Jahren I937-61 an verschiedenen Stellen bereits veröffentlichten Arbeiten. In seiner bekannten Art macht sich Pfeiffer Gedanken "Über ein Gedicht von Rudolf Alexander Schröder (Gestalt und Geheimnis)", "Über Peter Gan (Zwischen Dichten und Denken)", "Über Friedo Lampe (Laterna Magica)", dessen Gesamtwerk er 1955 edierte, "Über Eugen Gottlob Winkler (Zwischen Sinngebung und Skepsis)", "Über den Lyriker Josef Weinheber (Kunst und Existenz)", "Über Josef Hofmiller (Dienst an der Dichtung)", über "Dichterische Wirklichkeit und ,weltanschauliche' Wahrheit, erläutert an Novellen von Hans Grimm, Thomas Mann und Franz Kafka", "Zur Deutung des Dichterischen bei Ludwig Klages (Dichtung und Metaphysik)" und "Zur Deutung der Kunst bei Karl Jaspers (Ahnung und Offenbarung)". Vorangestellt ist ein "präludierender Aufsatz" "über einige Beiträge zur Poetik (Dichtung und Deutung)", ein "Gang von der doktrinär-marxistischen Auffassung bis zu den Problemen der modernen Lyrik". Die "doktrinär-marxistische Auffassung" ist für Pfeiffer dabei in der "Literaturfibel" Joachim G. Boeckhs (Berlin 1953) und in Ernst Fischers "Dichtung und Deutung" (Wien 1953) gegeben. Auf die für ihn zentrale Frage nach der dichterischen Wirklichkeit antwortet Pfeiffer u. a.: "daß Dichtung sich ebenso als eine frei-schwebende Eigenwelt vom Boden unserer Daseinserfahrung löst, wie sie doch andrerseits in dieser die Voraussetzung ihrer sinnbildlichen Überzeugungskraft hat" (S.7) und: "Das sachgerechte Verhältnis zur Dichtung hängt also von der Einsicht ab, daß der Ernst, der dieses sinnbildlich-erhellende Spiel beseelt, immer nur ein vorletzter (!), kein letzter (!) Ernst ist."

Germanistik. Jg. 4, H. 4, Oktober 1963, S. 734 f.
 

Poetik. Hrsg. von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. (Redaktion: Clemens Graf Podewils.) - (München): Oldenbourg (1962). Gestalt und Gedanke, 7

Seit Gottfried Benns "Probleme der Lyrik" sind ähnliche Äußerungen en vogue, ohne daß die Erfahrungsberichte einzelner Autoren in der Addition zu einem poetischen System zusammenzutreten vermöchten. Das zeigt deutlich der Sammelband "Poetik". Er schließt in einem weiteren Sinne an die Jahrbücher "Die Sprache" (1959) und "Wort und Wirklichkeit" (1960) an, indem er eine Reihe von Beiträgen unter einem Thema summiert. So enthält der Band "Poetik" neben den Beiträgen "Atem der Welt im Werk des Dichters Saint-John Perse" von Friedhelm Kemp und "Über die Dichtung. Die Empfindungskraft des Negers und das Wort" von Léopold Sedar Senghor die Vorlesungsreihe "Wie entsteht ein Gedicht", die im Rahmen des von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste wahrgenommenen Lektorats für Gegenwartsschrifttum und Literaturkritik während des Sommersemesters 1961 an der Universität München gehalten wurde. Er enthält ferner die Einführungen von Emil Preetonus und Julius Speer sowie je eine kurze Einführung zu den einzelnen Vorträgen von Emil Preetorius oder Curt Hohoff. Über das Entstehen von Gedichten referieren Wilhelm Lehmann, Hans Magnus Enzensberger, Walter Höllerer, Franz Tumler und Rudolf Alexander Schröder. Die Referate Enzensbergers und Tumlers sind inzwischen auch an anderer Stelle zugänglich (Enzensberger: "Die Entstehung emes Gedichts", suhrkamp texte 10, bzw. edition suhrkamp 20; Tumler:"Wie entsteht Prosa" (sic!), suhrkamp texte 12).

Germanistik. Jg. 4, H. 4, Oktober 1963, S. 736
 

Wieland, Christoph Martin: Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva. (Hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Heinrich Vormweg.) - Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch (1963). Phaidon Bibliothek

Als erfreulichen Versuch eines Neudrucks registrieren wir zunächst die von Heinrich Vormweg besorgte Ausgabe der Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva. Zugrunde gelegt ist der Text aus der 1853ff bei G. J. Göschen erschienenen Ausgabe "C.M. Wielands sämmtliche Werke", ("der mit dem Text der ... 1818 ff. von J. G. Gruber edierten ersten posthumen Ausgabe übereinstimmt.") Die ("ausgewählten") Anmerkungen hat Vormweg von Wieland und Gruber ("nur die wichtigsten") übernommen. Sie sind für den heutigen Leser jedoch nicht vollständig genug. Wir bedauern, daß Vormweg bei seinem Neudruck nicht auf die kaum erreichbare Erstausgabe von 1764 zurückging. Auch geht Vormweg u.E. bei der üblichen Gepflogenheit, den Text vorsichtig der heutigen Schreibweise anzunähern, zu weit, vor allem, wenn er Wörter, "deren Sinn sich grundlegend gewandelt hat, nach dem heutigen Gebrauch ersetzt" (z. B. herangezogen für "angezogen", befreit für "erledigt" u.v.a.m.). Das sind unerlaubte Eingriffe in den Lautstand und das rhythmische Gefüge des Originals. Das Nachwort wendet sich an das literarische Publikum und bringt für die Wielandforschung nichts Neues.

Germanistik. Jg. 5, H. 2, April 1964, S. 291
 

Rubiner, Ludwig, [u.] Friedrich Eisenlohr, Livingstone Hahn: Kriminal-Sonette. - (Stuttgart, Bern, Wien: Scherz 1962.) Mit zahlr. (z.Tl ganzseit.) farb. Abb. im Text

Die 1913 im Kurt Wolff Verlag edierten "Kriminalsonette" von Ludwig Rubiner, Friedrich Eisenlohr und Livingstone Hahn stellen heute nicht nur ein beliebtes Sammlerobjekt für literarische Feinschmecker dar, sondern sind auch für die literaturwissenschaftliche Expressionismusforschung von Bedeutung: als erste in Buchform erschienene Lyrikpublikation des späteren politischen Dichters des Aktivismus, Ludwig Rubiner, als zeitsatirisches Dokument und als Indiz dafür, daß sich überkommene Gedichtformen so weit verbraucht haben, daß viele Autoren sie (nur noch) parodierend einsetzen. Unter diesen Gesichtspunkten ist ein Neudruck dieser in strenger Sonettform gebauten "Moritaten im klassischen Stil" sehr zu begrüßen. Der bibliophil eingerichtete Band ist dabei um Graphiken von  Günther Kieser vermehrt, der auch die typographische Gestaltung besorgte. Sowohl die Graphiken wie auch das Nachwort von Rudolf Braun und Günter E. Scholz interpretieren allerdings die "Kriminalsonette" etwas einseitig in Richtung dessog. "schwarzen Humors". Die anschließend mitgeteilten nützlichen Bibliographien Ludwig Rubiners und Friedrich Eisenlohrs seien ausdrücklich erwähnt.

Germanistik. Jg. 5, H. 2, April 1964, S. 379
 

Sternberg, Fritz: Der Dichter und die Ratio. Erinnerungen an Bertolt Brecht. ([Mit einem] Vorwort [von] Reinhold Grimm.) - Göttingen: Sachse & Pohl (1963). Schriften zur Literatur. Bd 2

Als 2. Band der "Schriften zur Literatur" legt Reinhold Grimm unter dem Titel "Der Dichter und die Ratio" ein schmales Bändchen "Erinnerungen an Bertolt Brecht" des Soziologen Fritz Sternberg vor. Grimm begründet diese Publikation in seinem Vorwort mit Recht als "ein höchst aufschlußreiches, für die Kenntnis von Brechts Leben, Schaffen und Persönlichkeit unentbehrliches Dokument. Dies um so mehr, als Sternberg nicht nur über die Jahre vor 1933 in Deutschland, sondern auch über verschiedene Begegnungen während der Emigrationszeit berichtet. Pläne, Entwürfe, Gedanken, Aussprüche und Gespräche Brechts, die bisher entweder ganz unbekannt oder noch nicht genügend bekannt waren, werden im Zusammenhang zugänglich gemacht." Die von Sternberg memorierten Gespräche umfassen dabei eine weitgespannte Themenskala: von Thomas Mann über die Aufführungsmöglichkeiten Shakespeares bis zur kommunistischen Partei, und sie sind für Brechts persönliches Verhalten ebenso aufschlußreich, wie sie manches an seinem Verhalten erklären helfen. Daß dabei vor allem die Gespräche Mitte bis Ende der zwanziger Jahre interessieren, in denen Brecht seine Theorien zum epischen Theater und zu einer nicht-aristotelischenDramaturgie entwickelt, liegt auf der Hand, zumal diese Zeit, wie Grimm im Vorwort hervorhebt, "zu den dunklen, noch kaum erschlossenen Bereichen" der Brechtschen Biographie gehört. Aufschlußreich ist auch die als Anhang abgedruckte Diskussion zwischen Sternberg und Brecht über den "Niedergang des Dramas" aus dem Berliner Börsen-Courier vom 12.5. und 2.6.1927. Ärgerlich, daß die Erben den Abdruck des Brechtschen Beitrags verweigern; doch gibt Grimm hier dankenswerterweise den Inhalt und die wichtigen Stellen dieser kaum zugänglichen Quelle wieder.

Germanistik. Jg. 5, H. 2, April 1964, S. 385 f.
 

(Wieland, Christoph Martin): Wielands Briefwechsel. Hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für deutsche Sprache und Literatur. Bd 1. - Berlin: Akademie-Verl. 1963. 1. Briefe der Bildungsjahre. (1. Juni 1750 - 2. Juni 1760). Hrsg. von Hans Werner Seiffert

Nachdem Bernhard Seuffert 1936 und 1940 mit seiner in den Abhandlungen der Berliner Akademie veröffentlichten Epistolographie die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Edition des Wielandschen Briefwechsels gegeben hat, legt innerhalb der von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin herausgegebenen, auf 10 - 15 Bände geplanten, Text und Kommentar umfassenden Briefwechsel-Edition Hans Werner Seiffert nun den ersten Band vor. Dieser Band bringt 497 "Briefe der Bildungsjahre" (1. Juni 1750 - 2. Juni 1760), und zwar die Briefe von Wieland, deren Text eigenhändig und nicht eigenhändig überliefert ist; ferner eigenhändig und nicht eigenhändig überlieferte Briefe an Wieland. Nicht überlieferte, aber als früher vorhanden bezeugte Briefe von und an Wieland werden mitgezählt; über ihren Inhalt soll der Kommentarband Aufschluß geben. Dem Band vorangestellt ist eine "Allgemeine textkritische Vorbemerkung", die über die Einrichtung des Textes und des Apparates berichtet. Den Band beschließt ein "Register der Korrespondenten". Da bis dato eine wissenschaftliche Gesamtausgabe des Wielandschen Briefwechsels fehlte und die wenigen, kurz nach Wielands Tod erschienenen Briefsammlungen unvollständig, erheblich gekürzt, oft bedenklich interpoliert und so wissenschaftlich kaum brauchbar waren, liegt mit den "Briefen der Bildungsjahre" endlich eine zuverlässige, alles Greifbare umfassende Ausgabe vor, um so mehr, als es den Bemühungen des Herausgebers gelungen ist, zahlreiches neues Material aufzufinden und beizubringen. Damit dürfte der Wielandforschung jetzt möglich sein, ein erheblich genaueres Bild vor allem der Schweizer Jahre zu gewinnen, und so die Biographie zu ergänzen und, wo nötig, zu korrigieren. Somit stellt dieser von Hans Werner Seiffert mit großer philologischer Akribie edierte Textband ein für die Wielandforschung seit langem gewünschtes und notwendiges Arbeitsmittel dar, über das ein abschließendes Urteil allerdings erst möglich sein wird, wenn der angekündigte umfangreiche
Kommentarband vorliegt, der über Überlieferung und Textkonstitution Auskunft geben, die vorliegenden Briefe, soweit für das Verständnis erforderlich, durch Dokumente und Zeugnisse ergänzen, eigene Forschungsergebnisse des Herausgebers mitteilen und eine Bibliographie der in den Briefen genannten Werke nachtragen soll.

Germanistik. Jg. 5, H. 3, Juli 1964, S. 473 f.
 

Wieland, Christoph Martin: Ausgewählte Prosa aus dem Teutschen Merkur. Hrsg. von HansWerner Seiffert. - (Marbach a. N.: Schiller-Nationalmuseum 1963.) Turmhahn-Bücherei. N.F. 4

Weder die Auswahlen noch die Wieland-Forschung haben bisher - falls überhaupt - den Herausgeber des "Teutschen Merkur" und Essayisten Wieland gebührend berücksichtigt, obwohl der Essayist gleichwertig mit dem Autor und Übersetzer gesehen werden sollte. Erfreut zeigen wir deshalb die von Hans Werner Seiffert herausgegebene "Ausgewählte Prosa aus dem Teutschen Merkur" an. Diese Auswahl aus den Jahren I773-93 umfaßt die Anekdote "Wie man liest", "Was ist Wahrheit?", "Über Nationalpoesie", die drei "Briefe an einen jungen Dichter", "Über die Rechte und Pflichten der Schriftsteller", "Das Geheimniß des Kosmopolitenordens", "Über teutschen Patriotismus" und legt damit einen repräsentativen Querschnitt durch jene literarische Tätigkeit Wielands, die - wie Hans Werner Seiffert in seinem Nachwort zurecht sagt - dazu diente, "ein breites Leserpublikum zu sich heranzubilden" und auch "den breiteren Schichten des Volkes das alte delphische 'gnothi seauton' nahezubringen in der Hoffnung auf eine gebildete Nation". Das Nachwort ergänzt die u. E. geglückte Auswahl, indem es die Bedeutung des Essayisten Wieland und seines "Teutschen Merkur" herausstellt. Eine abschließend mitgeteilte Bibliographie aller wesentlichen eigenen Beiträge (bei in diesem Zusammenhang berechtigtem Verzicht auf Wiedergabe aller redaktionellen Zusätze, Anmerkungen und Noten) ermöglicht schließlich eine nahezu umfassende Einsicht in Wielands Merkur-Arbeit. Zur Einrichtung der Textauswahl sei nachgetragen, daß die Originalausgabe der Zeitschrift als Druckvorlage diente, die Texte allgemein diplomatisch wiedergegeben, Auszeichnungen zum besseren Verständnis beibehalten sind und auf unterschiedliche Schriftgrade bei fremdsprachigem Text oder Zitat verzichtet wurde. Druckfehler und Konjekturen sind stillschweigend beseitigt, dagegen blieb mit Recht die Wielandsche Orthographie gewahrt.

Germanistik. Jg. 6, H. 2, April 1965, S. 327
 

Wieland, Christoph) M(artin): Zweierlei Götterglück und andre Gedichte. Hrsg. von Friedrich Beißner. - (Frankfurt a.M.): Insel-Verl. (1965). Insel-Bücherei. Nr 848

Vier Gedichte Christoph Martin Wielands aus einem Zeitraum von gut zehn Jahren hat Friedrich Beißner ausgewählt: den "Bruchstücken von Psyche" (1767) (der mitgedruckte "Vorbericht" Wielands läßt Plan und Scheitern dieses "Allegorischen Gedichts" deutlich werden), einem Stück "Graziendichtung", gesellt sich die "nachdenkliche Plauderei" (Beißner) "Das Leben ein Traum" (1771), wiedergegeben mit der verteidigenden "Beilage" Wielands von 1777; dem ersten der Huldigungsgedichte an die Herzogin Anna Amalia, "Zweierlei Götterglück" (1777), einem "Gelegenheitsgedicht ins wahrsten und schönsten Sinne" (Beißner), steht die Verserzählung "Schach Lolo" (1778) gegenüber, "ein Feuerwerk ironischen Witzes" (Beißner) bereits in der Einleitung. Alle Gedichte sind - moderner Schreibweise behutsam angenähert - "kritisch durchgesehen" der "Ausgabe von der letzten Hand" nachgedruckt. Ein Glossarium bietet die notwendigen Wort- und Sacherklärungen; das Nachwort findet neben Skizzierung der biographischen und literarischen Zusammenhänge noch Raum zum interpretatorischen Ansatz. Für sich genommen eine reizende Demonstration Wielandscher Verskunst, ist dieser Großband der Insel-Bücherei überdies eine glückliche Ergänzung zu Band 1 der von Friedrich Beißner besorgten Wieland-Ausgabe (vgl. diese Zschr. Jg VI, Nr 1914).

Germanistik. Jg. 7, H. 1, Januar 1966, S. 100 ff.
 

Serner, Walter: Letzte Lockerung. Ein Handbrevier für Hochstapler und solche die es werden wollen. - Berlin: Gerhardt (1964)

Zu den Autoren, denen im Zusammenhang einer Dadaismus-Forschung besondere Aufmerksamkeit gelten muß, gehört u. a. der 1889 in Karlsbad (Böhmen) geborene Walter Serner. Wie die meisten Publikationen des Dadaismus sind auch seine verhältnismäßig zahlreichen, oft mehrfach aufgelegten und 1927 vom Steegemann Verlag in 7 Bänden zusammengefaßten Veröffentlichungen heute nur schwer zugänglich. Der Neudruck der "Letzten Lockerung" folgt der um einen zweiten, "Genf 1927" datierten Teil vermehrten Ausgabe, verzeichnet aber für den ersten Teil ("Das prinzipielle Handbrevier") die gegenüber der Ausgabe von 1920 ("Letzte Lockerung. manifest dada") von Serner gemachten Zusätze leider ebenso wenig wie die Abweichungen in der Zählung der einzelnen Textabschnitte und gelegentliche Varianten. Gerade aber das "manifest dada" ist für eine Dadaismus-Forschung und allgemein für den Themenbereich Manifest-Literatur im Dadaismus/Expressionismus als Beispiel eines "anarchistischen Glaubensbekenntnisses" (Hans Richter) von Interesse.

Germanistik. Jg. 7, H. 1, Januar 1966, S. 134 f.
 

Serner, Walter: Zum blauen Affen. Dreiunddreißig hahnebüchene Geschichten. - Berlin: Gerhardt (1964)

Ebenso wichtig wie die "Letzte Lockerung" dürften die 33 Kriminalgrotesken "Zum blauen Affen" sein, über die Alfred Döblin in der "Neuen Rundschau" notierte: "Als ich entzückt das Bändchen durchflogen hatte und fertig war, blätterte ich wehmütig hin und her, ob ich nicht eins ausgelassen hatte; ich hätte noch zu gern ein halbes Dutzend der scharfen, frechen, sicheren Bijous zu mir genommen." Auch hier folgt der Neudruck der späteren siebenbändigen Ausgabe, wobei der Text nur geringfügig (z.B. in der Schreibung von Eigennamen) vom Erstdruck (1921) abweicht. Bemerkenswert anders geartet als die 1916 im "Sirius" veröffentlichten Erzählungen Serners, interessieren die "hahnebüchenen Geschichten" - von der Forschung noch zu wenig beachtet - im Zusammenhang der literarischen Groteske im Expressionismus/Dadaismus. Daß sich die Biographie Serners bisher im Dunkeln verliert, mag erklären, daß hier wie im Falle des Neudrucks der "Letzten Lockerung" die wünschenswerten biographischen Angaben fehlen. Die bibliographischen Hinweise sind in beiden Fällen ungenau und unzureichend.

Germanistik. Jg. 7, H. 1, Januar 1966, S. 135
 

Haase, Horst: Johannes R. Bechers Deutschland-Dichtung. Zu dem Gedichtband "Der Glücksucher und die sieben Lasten" (1938). - Berlin: Rütten & Loening (1964). Germanistische Studien

"In der Sowjetunion fand ich 1935 nicht nur ein Exil, sondern eine Heimat für meine Heimat. Dort entstanden meine bedeutendsten Arbeiten", notierte Johannes R. Becher im "Tagebuch 1950". Alle vorhergehende Dichtung Bechers, konstatiert Horst Haase in seiner Analyse des 1938 in Moskau-London erschienenen Gedichtbandes "Der Glücksucher und die sieben Lasten", war Dichtung "auf dem Wege", alle wichtigen späteren Dichtungen "sind wesentlich denselben ästhetischen Prinzipien verpflichtet, die im lyrischen Bemühen dieser Jahre gewonnen wurden". Bis zu diesem "Durchbruch" unterscheidet Haase die (überschätzte) expressionistische Phase, die proletarisch-revolutionäre Phase und als "Zeit fruchtbaren Experimentierens" eine (unterschätzte) Übergangsphase bis 1935, in der sich Becher vor allem wichtige nationale Stoffe angeeignet habe. Gewiß deute sich die "neue Qualität" der Becherschen Dichtung schon vorher an, doch erfahre das Werk in "Der Glücksucher" erst seine wahre Bestimmung als "Beitrag zur soziallstischen Erneuerung der Nationalliteratur". Hier stelle Becher einer "spätbürgerlichen modernistischen Poesie und ihrer literaturwissenschaftlichen Apologetik" "die entscheidende, in die Zukunft weisende Position" gegenüber. Ganz im Sinne einer marxistischen Literaturwissenschaft heißt es in dem abschließenden Kapitel "Erneuerung der Nationalliteratur": Becher war ein "deutscher Dichter", weil er Antifaschist, Sozialist und mit den Werktätigen in aller Welt freundschaftlich verbunden war; er war ein "nationaler Dichter, weil er ein sozialistischer Dichter war". Kein anderer habe "das Nationale so umfassend und konsequent repräsentiert wie dieser Kommunist". Er "setzte in dieser Zeit für die nationale Poesie die Maßstäbe". - Da "Der Glücksucher" nur schwer zugänglich ist, bringt Haase im Anhang ein Inhaltsverzeichnis des Gedichtbandes und verweist, soweit möglich, jeweils auf eine leichter erreichbare Quelle.

Germanistik. Jg. 7, H. 2, April 1966, S. 306 f.
 

Hinckel, Erika: Gegenwart und Tradition. Renaissance und Klassik im Weltbild Johannes R. Bechers; - Berlin: Dietz 1964

Erika Hinckel, die mit ihrer Arbeit über "Renaissance und Klassik im Weltbild Johannes R. Bechers" 1963 summa cum laude promovierte, geht es um Bechers "nationale Literaturkonzeption", in der sich "der Scharfblick des marxistisch-leninistisch geschulten Denkers mit dem Feingefühl des Dichters" verbänden, und die sich "vor allem in bezug auf sein Schaffen nach 1933" dadurch beispielhaft auszeichne, "daß sie zugleich bewußt erfaßte und dichterisch erlebte Geschichtskonzeption" sei. Gegenüber der bürgerlichen Moderne, die den Abbau des Nationalen proklamiere, ergänze Becher die "Herausbildung des nationalen Kulturreichtums" "durch die Bejahung und Unterstützung der im sozialistischen Lager realen, auf ökonomisch-politischen Faktoren aufbauenden Tendenz, die Nationen geistig kulturell immer mehr anzunähern". Bei seinem "Ringen um eine Erneuerung der deutschen Nationalliteratur als humanistische, demokratische und sozialistische Literatur, die dem Volk verständlich und eng mit dem Leben der Werktätigen verbunden" sei, entspreche z.B. die Renaissancekunst durch "ihren ausgeprägt kämpferischen, tendentiösen, antifeudalen Gehalt", durch "ihren Aktivismus, der das Leben verändern will", durchaus Bechers eigener Auffassung von der Rolle und Funktion der Kunst. In diesem Zusammenhang begreife er das Sonett als "Sinnbild einer Ordnungsmacht" gegenüber einer Bedrohung durch "dekadente Formzertrümmerung", durch das "Zerfließen der Bilder". Seine Hinwendung zur Klassik verstehe sich als ein Wiederaufbauen auf dem "festen Fundament des klassischen Realismus, der klassischen humanistischen Auffassung vom Wesen und Inhalt der Literatur". Das aber habe Becher an die Spitze der "zeitgenössischen Nationalliteratur" geführt, "daß er fähig war, die Brücke von der großen bürgerlich-humanistischen Kultur der Vergangenheit zu den lebendigen revolutionären Kräften des gegenwärtigen Deutschlands zu schlagen, daß er, wie Walter Ulbricht ... sagte, 'gewissermaßen selbst zu einer solchen Brücke zu werden' vermochte."

Germanistik. Jg. 7, H. 2, April 1966, S. 309 f.
 

Baumann, Gerhart: Rudolf Kassner - Hugo von Hofmannsthal. Kreuzwege des Geistes. (Rede zum 90. Geburtstag von Rudolf Kassner). - Stuttgart: Kohlhammer (1964)

Gerhart Baumann unternimmt in seiner Rede den dankbaren Versuch, gleichsam ein geistiges 'Doppelportrait' Kassner/Hofmannsthal zu zeichnen, und er rechtfertigt seinen Versuch mit der wesenhaften Beziehung beider Autoren: "Man erkennt ein Wechselverhältnis von fruchtbarer Wahrheit, in dem die beiden Gestalten in ihren Eigentümlichkeiten deutlicher sich abgrenzen; verdeckte Züge ... werden im Reflex der anderen Figur faßbar." Und an anderer Stelle: "Im Gegensätzlichen entdeckt man Ähnlichkeiten, im Ähnlichen das Gegensätzliche ... Zahlreiche Schichten in der Wesensstruktur entsprechen sich spiegelverkehrt, viele geistige Ansichten verlaufen parallel, jedoch in umgekehrter Richtung." Diesem "Wechselverhälmis", diesen 'spiegelverkehrten Entsprechungen' vor allem gilt Baumanns Aufmerksamkeit. Mit philologischer Akkuratesse verfolgt er das langjährige "wechselseitig durchdringende Verstehen", nachvollzieht er einen "Parallelismus im Gegensatz", wie er einmal im Goethischen Sinne kennzeichnet. Kassner konnte z.B. "aus dem Abstand des Kritikers" jene innere "Notwendigkeit" erkennen, "die Hofmannsthal aus der Epoche des Bindungslosen und Ungeborgenen zu Theater und Drama führen mußte", und zugleich "das Vorspielhafte des hofmannsthalschen Dramas" als problematisch einsehen. Auf der anderen Seite etwa erscheint der Malteser des "Andreas"-Romans als ein "durch umbildendes Erinnern" "zur Figur gewordener" Reflex, hervorgerufen durch die "mächtige Ausstrahlung" Kassners. Dieser Malteser - pointiert Baumann - bilde aber auch "gleichnishaft die Grenze", bezeichne "das Einende wie das Trennende zwischen Kassner und Hofmannsthal". In ihm sei "diese Grenze selbst Figur geworden".

Germanistik. Jg. 7, H. 3, Juli 1966, S. 448 f.
 

Coghlan, Brian: Hofrnannsthal's festival dramas. Jedermann. Das Salzburger Große Welttheater. Der Turm. - (London): Cambridge University P.; Melbourne University P. 1964

Brian Coghlans Buch bietet Untersuchungen zum "Jedermann", zum "Salzburger großen Welttheater" und zum "Turm". Zwischen den Analysen des "Jedermann" und des "Salzburger großen Welttheaters" werden drei historische ("Die Dichter und diese Zeit", "Die Idee Europa", "Grillparzers politisches Vermächtnis") bzw. kulturpolitische Essays ("Österreichische Bibliothek", "Österreich im Spiegel seiner Dichtung", "Die österreichische Idee") abgehandelt. Innerhalb der einzelnen Kapitel ist eine Menge von, für den nicht deutschsprachigen Leser wohl notwendigem, Hintergrundwissen ausgebreitet. Die zahlreichen Zitate sind bei Prosa in Übersetzung, bei Versen im Original, gelegentlich zweisprachig wiedergegeben. Daß sich der Verfasser des Dilemmas einer Übersetzung, vor allem der "Turm"-Passagen, bewußt war, macht seine "Note on translations" deutlich. Coghlan geht es neben dem "dramatischen" vor allem um den "ästhetischen" Aspekt der "Festspiele". Nicht nur die beiden der "Jedermann"-Analyse folgenden Kapitel zielen auf den "Kulturpolitiker" Hofmannsthal: "Whatever one's personal view of "Jedermann" may be ... it meant a considerable step forward ... towards the preoccupation that made him the 'Kulturpolitiker' und 'Praeceptor Austriae' of the war years." Andererseits seien "Das Salzburger große Welttheater" und "Der Turm" in den kulturpolitischen Essays der Kriegszeit vorbereitet, indem dort bereits jene Ideen herausgearbeitet würden, die in ihnen dann ihren dramatischen Ausdruck fänden. Hofmannsthal habe das Volk erreichen wollen, es österreich-bewußt machen. Ihm sei es um ein moralisch verjüngtes und vereintes Europa gegangen, wo z.B. "the practical and conciliating qualities in Maria Theresia's achievement could serve an entire continent". In diesem Zusammenhang aber sieht Coghian für die Wirkung des Turms, auf dessen Analyse er das Schwergewicht legt, auch die Grenzen. Er sei "for Europe in Austrian terms" geschrieben. Überhaupt lasse Hofmannsthals Bewußtsein gegenüber der Vergangenheit, "his use of traditional forms and symbols" grundsätzlich fragen: "how far is a tradition which has become quite conscious a genuine tradition? At what point does a tradition which is forcibly kept alive, however much and however positively modified, become an ideology, kept alive for its own sake?" Auf dieses für die meisten konservativen Schriftsteller geltende Problem gebe es im Falle Hofmannsthal keine eindeutige Antwort. "Our reaction will depend almost entirely on our reaction to his ideas and ideals: if we can accept or find sympathetic the vision of society seen by Sigismund in "Der Turm I" ..., then we will find Hofmannsthal's traditionalism and its artistic exploitation justifiable. If, however, we cannot accept his views ... then we are unlikely to be able to accept the form in which they are presented, the more so as the form itself then carries associations of an inimical content and atmosphere."

Germanistik. Jg. 7, H. 3, Juli 1966, S. 452 f.
 

Hamburger, Michael: Hugo von Hofmannsthal. Zwei Studien. (Aus dem Englischen von Klaus Reichert.) - Göttingen: Sachse & Pohl (1964). Schriften zur Literatur. Bd 6

Die als Band 6 der von Reinhold Grimm herausgegebenen "Schriften zur Literatur" veröffentlichten Studien ("Die Gedichte und kleinen Dramen"; "Die Dramen und Libretti") Michael Hamburgers wurden ursprünglich als Einführungen zu den zwei Auswahlbänden "Poems and Verse Plays" (1961) und "Selected Plays and Libretti" (1963) geschrieben als "Versuch", "innerhalb des ... gegebenen Rahmens ein im ganzen getreues Bild des so vielseitigen und ... 'bizarren' Dichters zu entwerfen". Hamburger sieht Hofmannsthal dabei als "eine der komplexesten und rätselhaftesten Gestalten der ersten Jahrhunderthälfte", dessen Gesamtwerk "durch starke, obzwar befremdliche Fäden miteinander verknüpft ist". So erreichten die "Themen seiner frühen Gedichte und Dramen, von ihren rein persönlichen Implikationen befreit, in den politischen Konflikten eines seiner letzten Stücke, im "Turm", ihren Höhepunkt". Früh- wie Spätwerk beruhten auf Hofmannsthals Voraussetzung, "daß wir und die Welt nichts verschiedenes" seien, mit dem Unterschied freilich, daß "in der Präexistenz ... der Traum ... die Identifikation von Mensch und Ding" bewirke, während Hofmannsthal in den späteren Werken "die verschlungenen Wirklichkeiten des sozialen Lebens sich ohne Hilfe magischer oder märchenhafter Mittel gegenübertreten" lasse. Das ganze Werk werde von einer immer wiederkehrenden "Wort-Skepsis" und "Wort-Mystik" durchzogen. Auch die "Chandos-Krise" sei so "nicht auf eine kurze Periode beschränkt", sie reiche vielmehr "zu den Anfängen ... zurück" und kehre "bis ans Ende häufig wieder". Neben umfangreicheren oder auch nur stichwortartigen Einzelinterpretationen findet die Darstellung der Reaktionen Hofmannsthals auf zeitgenössische literarische Strömungen ebenso ihren Platz wie die Erörterung seiner (künstlerischen) Beziehungen vor allem zu George und Richard Strauß. Wiederholt angestellte Vergleiche mit dem Werk W.B. Yeats machen bemerkenswerte Entsprechungen, aber auch Unterschiede sichtbar. Erwähnen müssen wir schließlich, daß Hamburger einiges für Biographie und Werkgeschichte aufschlußreiches, bisher unveröffentlichtes Material (vor allem Briefe) heranziehen konnte.

Germanistik. Jg. 7, H. 3, Juli 1966, S. 458 f.
 

Schwitters, Kurt: Anna Blume und ich. Die gesammelten "Anna Blume"-Texte, hrsg. von Ernst Schwitters. Mit Photos, Zeichnungen, Dokumenten. - Zürich: Die Arche (1965). Mit zahlr. Abb. im Text u. 12 Abb. auf 6 Taf.

Im Zusammenhang der Neudrucke z.Tl schwer zugänglicher Veröffentlichungen des literarischen Dadaismus ist die Ausgabe der gesammelten "Anna Blume"-Texte besonders begrüßenswert, auch wenn sie nur einen Bruchteil der neben dem literarischen Werk Arps wohl wesentlichsten Leistung des Dadaismus vorstellen. Der Band umfaßt die "Anna Blume" von 1919, die Texte der neuen veränderten Auflage von 1922, soweit sie nicht schon in der Ausgabe von 1919 enthalten sind, die "Memoiren Anna Blumes in Bleie" (1922), die bereits vor zwei Jahren als Faksimiledruck in einer limitierten Auflage (Berlin: Petersen Press o.J.) schon einmal neu aufgelegt wurden, und "Die Blume Anna. Die neue Anna Blume" von 1922, außerdem den symptomatischen "Aufruf! (ein Epos)" aus dem "Sturm" (Jg XII, 1921, H. 12). Das so zugängliche Textmaterial läßt einen ersten Überblick über die Entwicklung vor allem der Schwittersschen Lyrik von ca 1918 - 1922 zu, zeigt eine für das Verständnis moderner Lyrik allgemeiner interessierende Entwicklung von Stramm-naher 'Wortkunst' zu von Schwitters so genannten "elementaren" Gedichten, von der Parodie symbolischer Redeweise zu einem elementaren Spiel mit dem Alphabet, zum Spiel mit Buchstaben an der Grenze zur Typo-Grafik. - Die Textabdrucke folgen zum großen Teil gewissenhaft so sehr den Originalen, daß selbst vermutliche Druckfehler übernommen werden. Um so bedauerlicher sind einige verwirrende neue Druckfehler (z.B. S. 150: "bad", "schalfft"), Textumstellungen (z.B. S.195), der Anschein von Fußnoten, der im Falle der "Blume Anna" bei Texten erweckt wird, die in der Originalausgabe deutlich einen eigenständigen Stellenwert haben (z.B. S.178, 195, 197, 199), schließlich die typographisch unrichtige Wiedergabe des sehr wesentlichen "Gesetzten Bildgedichts" (S. 204). Ärgerlich ist der unvollständige Abdruck der "Memoiren Anna Blumes in Bleie", bei dem der Schlager "Poesie" (S. 11 f.im Original) bei Streichung der Melodie um 6 Zeilen gekürzt und die für Schwitters typische "Prosa"-Seite (S. 13 i.O.), die Collage zu "Humor" (S. 14 i.O.), die aufschlußreiche Titelseite (mit dem Zweittitel "Eine leichtfaßliche Methode zur Erlernung des Wahnsinns für Jedermann / von Kurt Merz [!, R.D.] Schwitters" und dem Zusatz "Der Autor behält sich alle Rechte vor. Gebiß ist künstlich. Gummiabsätze von hans arp") und die letzte Seite (u. a. mit einer Arp-Sentenz) unterschlagen wurden. Außer der an sich dankenswerten Reproduktion der typographisch interessanten Umschlagseiten wäre eine genaue Zitierung der Titelseiten wünschenswert gewesen (Schwitters hat z.B. die "Blume Anna" ausdrücklich als "Einbecker Politurausgabe" gekennzeichnet). - Einleitung, "Gebrauchsanweisung" und gelegentliche Zwischentexte des Hrsgr.s bieten zitierend noch einiges (oft jedoch ein wenig zufälliges) Text- und Anekdotenmaterial, geben aber keine Auskunft z. B. über die von Schwitters vorgenommene Numerierung einzelner Gedichte und darüber hinaus eher das, was R. Brinkmann einmal "postdadaistisches Geplänkel" genannt hat.

Germanistik. Jg. 8, H. 2, April 1967, S. 448 f.
 

Dada in Zürich. Bildchronik und Erinnerungen der Gründer. Erweiterte Sonderausgabe zum 50. Geburtstag von Dada. ln Zusammenarbeit mit Hans Arp und Richard Huelsenbeck hrsg. von Peter Schifferli. - (Zürich): Sanssouci Vlg (1966). Mit zahlr. Abb. im Text u. auf 10 Taf.

Nach der von Motherwell hrsg. Anthologie 'The Dada Painters and Poets'(New York 1951) erschien gleichzeitig mit der Dada-Monographie Verkaufs (Teufen [AR] o. J.) eine zweite, im Umfang geringere, in Wortlaut und bibliographischen Angaben weniger zuverlässige Anthologie 'Die Geburt des Dada. Dichtung und Chronik der Gründer' (Zürich 1957), in Zusammenarbeit mit Arp, Huelsenbeck und Tzara hrsg. von Peter Schifferli. (Vgl. R. Brinkmann: Expressionismus. Forschungsprobleme 1952-1960, Stuttgart 1961.) Schifferli hat diese Anthologie 1961 jeweils als "Sonderdruck" aus 'Die Geburt des Dada' in zwei Bände ('Als Dada begann. Bildchronik und Erinnerungen der Gründer' und 'Dada Gedichte. Dichtungen der Gründer') aufgespalten, dabei Kürzungen vorgenommen (so wurden Arps "Dada-Sprüche" gestrichen; an die Stelle der für die Chronologie wichtigen Auszüge aus Balls Tagebuch eine völlig unzureichende Bemerkung "Zu Hugo Balls Tagebuch-Aufzeichnungen aus der Dada-Zeit" gesetzt), jedoch eine Vielzahl Fehler der ursprünglichen Anthologie nicht verbessert (z.B. heißt Flakes Schlüsselroman "Nein und Ja", nicht umgekehrt). Ausgewertet und an einigen Stellen erweitert hat Schifferli die Anthologie dann noch einmal für "Das war Dada. Dichtungen und Dokumente" (München: dtv 1963). Die jetzt "zum 50. Geburtstag von Dada" erschienene "erweiterte [!] Sonderausgabe" "Dada in Zürich. Bildchronik und Erinnerungen der Gründer" entspricht mit Ausnahme einer vorgebundenen dünnen "Hommage à Dada, Hommage à Zurich" in Inhalt, Bebilderung, in der Paginierung, selbst in den Fehlern und Druckfehlern dem "Sonderdruck" von 1961, wobei u.a. peinlich berührt, wenn der inzwischen verstorbene Tzara zwar auf dem Titelblatt als Mitarbeiter gestrichen wurde, den "Personalien" zufolge aber in Paris "lebt"[!]. Entsprechend ungenau und unvollständig (mit Ausnahme der im Arche-Verlag erschienenen Literatur) sind auch die "Bibliographischen Hinweise".

Germanistik. Jg. 8, H. 3, Juli 1967, S. 653 f.
 

Heißenbüttel, Helmut: Über Literatur. - Olten, Freiburg/Br.: Walter (1966)

H. hat "nach ihrem demonstrativen und grundsätzlichen Charakter" Aufsätze und Vorträge zusammengefaßt, die der "praktischen Arbeit der Literaturkritik" seit 1955 entstammen, mit der Begründung, daß er als "Verfasser von Literatur [sich] zugleich in den Bereich ihrer Rede einbezogen" fühle. Seine Auswahl gliedert sich in die Teile "Autoren und Gattungen", "Theorie" und "Pro domo", wobei die hier erstmals veröffentlichten "Frankfurter Vorlesungen über Poetik 1963" fraglos den Mittelpunkt bilden. Bisher unveröffentlicht sind ferner "13 Hypothesen über Literatur und Wissenschaft als vergleichbare Tätigkeiten" (1965). - H. geht von der Frage aus, "ob und wieweit die Literatur des 20. Jahrhunderts besonderer Kategorien und Kriterien bedarf, ob und wie weit diese Literatur als etwas Besonderes und neu zu Beurteilendes anzusehen ist". H. bejaht dies und versteht seine Überlegungen dabei auch als "Vorschläge für eine mögliche theoretische Durchdringung der Literatur im 20. Jahrhundert". Er ist überzeugt, daß die Literatur dieses Jh.s in ihren exemplarischen Beispielen Formen und Methoden entwickelt hat, die mit einer traditionellen Poetik nicht mehr erfaßt und beschrieben werden können. Er schlägt vor, "eine neue literarische Typologie zu bilden", die "ihr erstes Kriterium nicht in seiner allgemeingültigen Zeitlosigkeit, sondern in einer historischen Bedingtheit" habe. Da die "vorgebildeten Sonderformen der poetischen Grammatik" (z.B. Strophen, Verse, Metren u.a.) "ihre Geltung verloren" hätten und "die Redeweise der Literatur sich [inzwischen] der sprachlichen Mittel selbst" bediene, müsse sich diese Typologie vor allem "mit dem befassen, woraus Literatur besteht, mit der Sprache". Entsprechend schlägt H. als Kriterien, zunächst der Beschreibung, Begriffe wie "Sprachspiel", "Sprachmuster", "antigrammatisches Sprechen" u. ä. vor. An die Stelle einer auf das Innere des subjektiven Selbstbewußtseins bezogenen symbolischen Redeweise (seit der Romantik) sei eine nichtsymbolische "sprachliche Reproduktion" von Welt getreten, eine "antigrammatische Rekapitulation" von Fakten, "die mit Namen und Sätzen angesprochen und festgehalten werden". H. hält es bei seinen auch sprachwissenschaftlich sehr differenzierten Überlegungen, auf deren Vielschichtigkeit (etwa Beziehungen zu
Wittgenstein und Whorf) hier nur hingewiesen werden kann, für "vorstellbar, daß [diese] neuen Typen der Literatur notwendiger sein werden, als es heute schon absehbar ist".

Germanistik. Jg. 9, H. 3, Juli 1968, S. 543
 

Richter, Hans: Köpfe und Hinterköpfe. - Zürich: Vlg der Arche (1967)

Nach "Dada Profile" (1961) und "Dada - Kunst und Antikunst" (1964) legt H.R. - diesmal vor allem als Maler und Film-Avantgardist sprechend - seine Erinnerungen an die 'gay twenties' vor. Chronologisch geordnet, sind die einzelnen Kapitel (an den Überschriften nicht immer ersichtlich) jeweils einem Künstler (u. a. auch W. Benjamin, K. Otten), einer Gruppierung, einem Ereignis bzw. einer Sache gewidmet, wobei die "Personenportraits" oft bis zur Gegenwart durchgezeichnet werden. Leider müssen die mitgeteilten Daten, Zitate (das wichtige Vorwort für "G" Nr 3 wird nur unvollständig und ungenau zitiert) und Hinweise (etwa auf die für die Geschichte des Hörspiels interessante Tonmontage "Weekend" W. Ruttmanns) in jedem Fall überprüft, oft korrigiert werden. So datiert H.R. die Erstaufführung seines Films "Vormittagsspuk" mit "Baden-Baden 1927 oder 1928", in "der gleichen Musikfestwoche", in der auch Brechts "Flug der Lindherghs" und "Der Jasager" aufgeführt seien. Die Uraufführung des "Jasagers", von H.R. wohl verwechselt mit dem "Badener Lehrstück vom Einverständnis", das zusammen mit dem "Flug der Lindberghs" Baden-Baden 1929 uraufgeführt wurde, fand jedoch erst 1930 in Berlin statt.

Germanistik. Jg. 10, H. 2, April 1969, S. 413 f.
 

Johannes R.Becher. Leben und Werk. (Hrsg. vom Kollektiv für Literaturgeschichte. Bearb.: Horst Görsch. B[earb.] N[euaufl.]) - Berlin: Volk und Wissen Vlg 1967. Schriftsteller der Gegenwart. Deutsche Reihe, I

Die vorliegende "Darstellung" gliedert sich in einen kurzen Abriß über "Das Leben des Dichters" und einen ausführlicheren kommentierenden Teil "Das Werk des Dichters" und ist "aus bereits veröffentlichten Publikationen, aus Dissertationen und ähnlichen Arbeiten vorwiegend jüngeren Datums zusammengestellt", wobei "in einigen Fällen [...] die benutzten Quellen für den Gebrauch in der Schule leicht überarbeitet" wurden. Gegenüber früheren Auflagen (mir liegt zum Vergleich das 21. bis 80. Tsd, 1954, vor) sind die "Leseproben" verringert, z.T. gekürzt und in den kommentierenden Teil eingefügt worden, wobei nach wie vor die "Art der Auswahl und Zusammenstellung [...] vor allem durch die pädagogische Zielsetzung [...] bestimmt" sind. Der 31 Titel umfassende "Quellennachweis" enthält zahlreiche neue (z.T. bisher unveröffentlichte) Titel (z.B. H. Haase: Johannes R. Bechers Deutschlanddichtung; E. Hinckel: Gegenwart und Tradition; vgl. Germanistik. 7. 1966. Nr 1277, 1292), einige Namen (z.B. G. Lukács) fehlen jetzt, ebenso die spärlichen westdeutschen Beiträge über Becher (z.B. H. Uhlig: Johannes R. Becher. In: H. Friedmann, 0. Mann: Expressionismus. Heidelberg 1956), während ich in den "Bibliographischen Angaben" u. a. die Auswahl 'Lyrik, Prosa, Dokumente' (Wiesbaden 1965) vermisse.

Germanistik. Jg. 10, H. 2, April 1969, S. 420
 

Wieland, (Christoph Martin): Briefwechsel. Hrsg. ... durch Hans Werner Seiffert. Bd 2. - Berlin: Akademie-Vlg 1968. - 2. Anmerkungen zu Bd 1. (Briefe vom 1.6.I750 - 1760.) Von Hans Werner Seiffert

Die "Anmerkungen" zu den "Briefen der Bildungsjahre" (vgl. Germanistik. 5. 1964. Nr 2144) ermöglichen ein vorläufig abschließendes Urteil. In der "Einleitung" begründet Seiffert die Aufnahme auch der Briefe an W. zu Recht mit dem Gewinn an Überschaubarkeit der geistigen Zusammenhänge und literarischen Beziehungcn, "durch deren Kenntnis eine Lücke in dem bisherigen Wissen über das 18. Jh. geschlossen werden kann, so daß für die Forschung neue Ergebnisse möglich werden". Verzeichnete Seuffert für die Bildungsjahre 225 Briefe, enthält die Ausgabe Seifferts einschließlich der Briefe an W. bei Mitzählung nicht überlieferter, aber als früher vorhanden bezeugter Briefe 497 Nrn, wobei in mehr als 100 Fällen Seuffert noch nicht bekannte Hss. für die buchstabengetreue Textwiedergabe zugrunde gelegt, darüber hinaus neue, z.T. wichtige Brieffunde zum ersten Mal zugänglich gemacht werden konnten: zum Komplex z.B. der "Briefe von Verstorbenen" Nrn 98, 99; zum Komplex z.B. der "Sympathien" Nr 119. Man wird dabei die vergebliche Suche nach den seinerzeit Horn vorliegenden Briefen an Sophie La Roche bedauern, vor allem die im Zusammenhang mit Brief 119 wohl nur zu berechtigte Mutmaßung, daß sich immer noch Briefe unerkannt in Familienarchiven befinden oder gar bewußt zurückgehalten werden. Die "Grundsätze der Edition", die über Überlieferung und Textkonstitution, über die Gestaltung des Kommentars u.a. Auskunft geben, können hier nicht erörtert werden, doch sei wenigstens die beispielhafte Gewissenhaftigkeit und Behutsamkeit des Hrsgr.s betont. Die "Anmerkungen" gliedern sinnvoll "Überlieferung", "Datierung", "Inhalt" (bei nicht überlieferten Briefen) und "Erläuterungen", enthalten wo nötig Exkurse, z. B. "Über W.s Beziehungen zur Dienstags-Gesellschaft in Zürich" und ziehen weitere Textzeugnisse hinzu: z.B. zu Brief 24 eine spätere autobiographlsche Aufzeichnung W.s; zur Erschließung des nichtüberlieferten Briefes 32 auszugsweise die entsprechende Korrespondenz Bodmer/Heß. Daß derartige Zeugnisse, die man sich noch zahlreicher und vollständiger wünschen möchte, einer lückenlosen Biographie zugute kommen, bedarf keiner Diskussion. Zu einer recht aufschlußreichen "Chronologischen Bibliographie" hat der Hrsgr schließlich die von W. möglicherweise benutzten Editionen von in den Briefen genannten Werken in der zeitlichen Abfolge des jeweiligen Zitats zusammengestellt. "Nachträge", ein "Nachwort", ein von W. Ullrich bearbeitetes nützliches "Register" und ein "Schema der Genealogie Wieland/Gutermann-La Roche" runden diese wertvolle und vor jedem Versuch einer Biographie grundlegende Edition ab.

Germanistik. Jg. 10, H. 4, Obtober 1969, S. 845 f.
 

Das deutsche Sonett. Dichtungen. - Gattungspoetik. - Dokumente. Ausgew. und hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner. - München: Fink 1969

Die vorliegende, vom Hrsgr als "literarisches Sachbuch" verstandene Anthologie versucht, "Probleme der Gattungsgeschichte an einer repräsentativen lyrischen Kleinform durch eine Zusammenstellung von Texten und Dokumenten aufzuzeigen und der eigenen Erarbeitung zugänglich zu machen". Dabei soll das einzelne Sonett "Zeittypisches", nicht eine überzeitliche Qualität, spiegeln" und die "allgemeine numerische Verteilung der Auswahl die quantitative Produktion der einzelnen Epochen" anzeigen. Ein dem Forschungsstand entsprechender Abriß "Zur Geschichte des deutschen Sonetts" zieht die Entwicklungslinien aus der europäischen und skizziert - nun leider ohne Blick auf die europäische - die dt. Sonett-Geschichte bis zu einem "Niedergang des Sonettdichtens im westlichen Teil Deutschlands", wogegen mit Bechers Philosophie des Sonetts noch einmal eine "letzte vorschriftsmäßige Betrachtung der Gattung" erfolge, die "die traditionelle Form mit der politischen Ideen erhärtet, und so eine modische Neuaufnahme einleitet, deren Folgen noch unabsehbar sind". Die Wiedergabe der Texte erfolgt nach Versanordnung und Lautstand der Vorlagen. Dem Lautstand der Vorlagen folgt auch die Dokumentation "Zur Poetik des deutschen Sonetts". Anm., Nachweise und eine den historischen Abriß ergänzende "Bibliographie" erschließen die Textauswahl und verweisen auf die wissenschaftliche Literatur. Man mag nicht nur von einem komparatistischen Standpunkt aus bedauern, daß hier eine europäische Gedichtform auf eine Anthologie ihrer deutschsprachigen Beispiele eingeschränkt bleibt. Im einzelnen ist zu fragen, ob es nicht sachlich richtiger wäre, von Gedicht- statt von "lyrischer" Form zu sprechen. Bei der Textauswahl scheint das 19. Jh. gegenüber der Zeit bis zur Aufklärung auch quantitativ übergewichtet. Leider wurde nicht immer auf die Erstdrucke zurückgegriffen (vgl. die weitgehenden Varianten z.B. bei Schochs "An sein Vaterland [...]"). Allgemein wird man, wie bei jeder Anthologie, Beiträge vermissen: im Textteil etwa eines der vom Hrsgr erwähnten "Bildergedichte in Sonettform bei Birken", "Des seligen Herrn D. PAUL FLEMINGI Grabschrift [...]", Gryphius' "Vber seine Sonn- vnd Feyertags Sonnette", oder im 20.Jh. das erste der "Hundert Bonbons" Mynonas; in der Dokumentation etwa Auszüge aus der Becherschen Philosophie des Sonetts.

Germanistik. Jg. 11, H. 2, April 1970, S. 289
 

Last, R.W.: Hans Arp. The poet of Dadaism. With 4 ill. - London: O.Wolff 1969. Modern German authors texts and contexts. Vol. I

An der vorliegenden Arp-Forschung moniert L., sie ziehe sich entweder zurück "into curt generalisations", oder sie begnüge sich "by describing the external characteristies of the poems and suggesting various influences and parallels in literature". Eine "sustained study, which does any justice to his achievement", gebe es bisher nicht. Allerdings sei eine "comprehensive survey" allein desdeutschsprachigen Werkes eine sehr umfangreiche Aufgabe, weshalb sich L.s Versuch einer generellen Einführung in Arps Leben und Werk auf den "vogel selbdritt", "the most important collection of poetry in Dadaist vein", und die 3 Gedichtbände der letzten Lebensjahre konzentriere. Bei stillschweigender Übernahme von Ergebnissen der bisherigen Forschungsliteratur, einer mir anstößigen durchgehenden Circa-Datierung, einem gelegentlich sinnentstellenden Zitieren ohne Belege, einer Vielzahl unrichtiger oder nur halbrichtiger Angaben, Hypothesen oder Verallgemeinerungen und wenigen interessanten neuen (?) Hinweisen, z.B. auf "the comic figure of Alsacien folklore, Hans Kaspar", geht es L. vor allem um den Nachweis, daß an den zahlreichen Textvarianten des Arpschen Werkes eine Entwicklung von "obscurity to clarity" abzulesen sei. Dabei kommt er zu Auslegungen der Art: "The passing sf Kaspar is as great a disaster as the death of Christ. ('Why have you forsaken us' is a deliberate borrowing from the Last Words.) But He died and rose again, whereas Kaspar's death is irrevocable." Die, gemessen an der sprachlichen Verspieltheit der Originale, oft hölzernen Übersetzungen stellen m.W. nach "On my way" zum ersten Mal das literarische Werk Arps in einer größeren Auswahl in England vor. Ihr schließt sich eine nur 16 deutsch- bzw. englischsprachige Titel umfassende "Select bibliography" mit dem Hinweis lediglich auf die Bibliographien M. Arp-Hagenbachs und G. Marchioris an.

Germanistik. Jg. 11, H. 2, April 1970, S. 379
 

Hopster, Norbert: Das Frühwerk Johannes R. Bechers. - Bonn: Bouvier 1969. Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft. Bd 78

H.s Diss. bereichert die spärliche westdt. Becher-Forschung (Uhlig, Herden) um den längst fälligen Versuch einer gründlichen Analyse des "Frühwerkes " und ergänzt so wesentlich die Becher-Forschung der DDR, die diese Phase sogar in den
"Gesammelten Werken" weitgehend ausspart. Ausgehend von der eigentümlichen "Identität von Werk und Autobiographie", versucht H., literarhistorische, biographische und strukturanalytische Methoden nicht zuletzt zur Klärung des Zwiespalts zwischen Wollen und Können' (Uhlig) fruchtbar "zu vereinigen". Die Einteilung des Frühwerks in eine jugendlich-enthusiastische Phase (1910-14), eine futuristisch-aktivistisch-utopische Periode (1914-18/19) und schließlich eine "hymnisch-religiöse" Reaktion (1918-24) auf die gescheiterte Revolution vor dem "endgültigen Schritt zum Kommunismus " und damit zu einer Literatur mit 'eindeutigem, klassenkämpferischem Inhalt in einer einfachen, überzeugenden Form' (Becher) ist einleuchtend. Mit Recht legt die Untersuchung ihr Schwergewicht auf den "futuristischen Aktivismus ", der den 'eigentlichen' Becher gezeigt habe: "explosiv, aggresiv und originell". Zugleich ein interessantes, wichtiges Kapitel über den (meist unterschätzten) Einfluß des it. Futurismus auf die deutschsprachige Literatur, läßt diese Phase am leichtesten "die Auflösung der klassischen Struktur, das Provozieren und Nutzbarmachen des Zufälligen", "Disharmonie", "Simultanismus " u.a. als Bestandteile einer Becherschen "Anti-Ästhetik" erkennen, deren "Grunddogma" es gewesen sei, "die 'Bilder der Weltparalyse' zu erzeugen". Ob und wie weit literatursoziologische Methoden für die Beschreibung von Leben und Werk eines Autors, für den Literatur nicht nur "Angelegenheit der Ästhetik", sondern "Agitation, Programm, Mittel der Massenbeeinflussung " war, noch zu weitergehenden Ergebnissen geführt hätten, ließe sich fragen.

Germanistik. Jg. 11, H. 3, Juli 1970, S. 589 f.
 

Becher, Johannes R.: Gesammelte Werke. Hrsg. vom Johannes-R.-Becher-Archiv der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin; Bd 6: Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik. Bd 1-6. - (Berlin: Aufbau-Vlg 1966-73.)
1. Ausgewählte Gedichte 1911-1918. (Nachw. und Sacherläuterungen: Alfred Klein. 1966)
2. Ausgewählte Gedichte 1919-1925. (Nachw. und Sacherläuterungen: Alfred Klein. 1966)
3. Gedichte 1926-1935. (Nachw. und Sacherläuterungen: Alfred Klein. 1966)
4. Gedichte 1936-1941. (Nachw. und Sacherläuterungen: Ernst Stein. 1966)
5. Gedichte 1942-1948. (Nachw. und Sacherläuterungen: Ernst Stein. 1967)
6. Gedichte 1949-1958. (Nachw.: Horst Haase. Redaktion und Sacherläuterungen: Ilse Siebert. 1973)

Die Bde 1-6 der auf 20 Bde berechneten "Gesammelten Werke" umfassen "in chronologischer Anordnung" und - um "den Charakter der künstlerischen Komposition" zu erhalten - in "Reihenfolge und Anordnung" der ursprüngl. Gedichtsammlungen das lyrische Werk, und zwar in Auswahl für die Jahre 1911-1925 (Bd 1,2), vollst. seit 1926 (Bd 3-6). Jedem Band ist eine ausgewählte "Nachlese" nicht in Buchform veröffentlichter Gedichte in ebenfalls chronolog. Ordnung angehängt. Die für B.s Werk symptomatischen zahlreichen Fassungen und Überarbeitungen einzelner Gedichte werden, soweit sie nicht im Kontext von Gedichtsammlungen (z.B. "Ein Mensch unserer Zeit", Bd 3, 175ff.) erscheinen, in Auswahl zur Verdeutlichung "jeweiliger Entstehungsstufen" in den Anm. mitgeteilt (unter Hinweis auf das für das spätere Werk "vollständige Material" im Johannes-R.-Becher-Archiv). Wichtig und für eine erste Orientierung hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein Verz. der "Veränderungen an früheren Gedichten in den Jahren 1949-1958" (Bd 6, 652ff). Für die Bde 1 und 2 bieten die "Anmerkungen" jeweils den "Nachweis des Ausgefallenen und ermöglichen so die Rekonstruktion der ursprünglichen Gedichtsammlungen", die allerdings bei z.T. kleinsten Auflagen oft kaum zugänglich sind. Den künstlerischen Absichten B.s entsprechend, folgt die Wiedergabe der Gedichte bis 1925 "in Orthographie und Interpunktion den Originaldrucken", gleicht jedoch, mit Hinweis auf die Handhabung bei den Werkausgaben nach 1945, ab Bd 3 "die Schreibweise den gültigen Regeln an". Daß die "Gesammelten Werke" nicht nur im Falle der "biographischen Hinweise und philologischen Bemerkungen zur Werkgeschichte" "noch nicht auf den Ergebnissen einer breiten Forschungsarbeit [...] fußen" können (vgl. auch die Band-Nachworte), ist nicht zu bestreiten. Wieweit sie der B.-Forschung insgesamt zu "dienen und in ihrer weiteren Entwicklung behilflich" zu sein vermögen und nicht ein vorgegebenes B.-Bild nur festschreiben helfen, muß allerdings gefragt werden angesichts einer alles in allem gezielt ausgewählten Wiedergabe des gemessen am gesamten Gedichtwerk recht umfangreichen und wichtigen Frühwerks (vgl. N. Hopster: Das Frühwerk Johannes R. Bechers; vgl. Germanistik. 11. 1970. Nr 3563), auf das sich B. überdies in wechselnder Einschätzung auch theoretisch immer wieder bezog (so in "Das poetische Prinzip", Gesammelte Werke, Bd 4, 280 ff.).

Germanistik. Jg. 15 1974, H. 3,  S. 688