Hans Arp: "Kaspar ist tot". Beispiel einer 'Parodie'

von Reinhard Döhl


Zwei Gedichte des Dadaismus haben erstaunliche Popularität erlangt und erscheinen häufig selbst dort in Anthologien, wo man dem Dadaismus als "Satyrspiel nach der Tragödie", als "literarischem (bzw. künstlerischem) Ulk" sonst keinen Raum gewährt: Kurt Schwitters" "An Anna Blume" und Hans Arps "Kaspar ist tot". Von Arps Gedicht liegen dabei eine Vielzahl Drucke und Fassungen vor. 1919 wird es in der Doppelnummer 4-5 der Zeitschrift "Dada" (1), wie Prosa abgesetzt, als zweiter einer Reihe von Texten unter der Sammelüberschrift "aus die wolkenpumpe" zum ersten Mal veröffentlicht:

weh unser guter kaspar ist tot wer trägt nun die brennende fahne im zopf wer dreht die kaffeemühle wer lockt das idyllische reh auf dem meer verwirrte er die schiffe mit dem wörtchen parapluie und die winde nannte er bienenvater weh weh weh unser guter kaspar ist tot heiliger bimbam kaspar ist tot die heufische klappern in den glocken wenn man seinen vornamen ausspricht darum seufze ich weiter kaspar kaspar kaspar warum bist du ein stern geworden oder eine kette aus wasser an einem heissen wirbelwind oder ein euter aus schwarzem licht oder ein durchsichtiger ziegel an der stöhnenden trommel des felsigen wesens jetzt vertrocknen unsre scheitel und sohlen und die feen liegen halbverkohlt auf den scheiterhaufen jetzt donnert hinter der sonne die schwarze kegelbahn und keiner zieht mehr die kompasse und die räder der schiebkarren auf wer isst nun mit der ratte am einsamen tisch wer verjagt den teufel wenn er die pferde verführen will wer erklärt uns die monogramme in den sternen seine büste wird die kamine aller wahrhaft edlen menschen zieren doch das ist kein trost und schnupftabak für einen totenkopf
Ein Jahr später begegnet der Text, typographisch wie ein Gedicht angeordnet, als Text 1 und 2 von fünf numerierten Texten unter der Überschrift "Die Schwalbenhode" in dem von Richard Huelsenbeck besorgten "Dada Almanach" (2), ohne textliche Änderung überdies und also ohne inhaltlichen Zwang, die äußere Form zu ändern. Für diese augenscheinliche Unsicherheit dem typographischen Arrangement gegenüber könnte man eine zweifache Erklärung versuchen. Einerseits ließe sich sagen, daß hier im einzelnen nicht mehr entschieden werden kann, ob es sich nun eigentlich um Lyrik oder um ein Stück wenn auch lyrische Prosa handelt; auf der anderen Seite könnte man davon sprechen, daß die traditionellen Gattungskriterien keine Verbindlichkeit mehr besitzen, daß sich die Grenzen zwischen Lyrik und Prosa verwischen, daß kein innerer, vom Sujet her bedingter Zwang mehr besteht, ein Gedicht oder ein Stück Prosa zu schreiben. Das gewählte graphische Arrangement wäre gewissermaßen unverbindlich geworden, die Entscheidung des Autors zufällig und die Form eine Äußerlichkeit. Und schließlich könnte man noch sagen, daß diese Unsicherheiten dem formalen Bild gegenüber dadurch bedingt sind, daß keine Identität mehr besteht zwischen dem, was gesagt wird, und der rhythmisch-metrischen Struktur; eine historische Erfahrung überdies, die bereits für die Sonette Platens gilt und bei Rilke sehr deutlich wird, wenn sich Vers- und Satzstruktur seiner Gedichte nicht mehr decken.

Und noch etwas ist bei dem zweiten Druck im "Dada Almanach" von Interesse. Wie gesagt, erscheint hier der Text als Text 1 und 2, so daß man auch weiterlesen und die von 1 bis 5 numerierten Texte als einen Text in fünf Abschnitten interpretieren könnte. Damit deutet sich eine weitere Eigenart des Literarischen Werkes von Hans Arp an: die ständige Möglichkeit, einen Text zu erweitern oder gar - an anderer Stelle - Teile eines Textes zum Ausgangspunkt neuer Texte zu machen (3); eine Erfahrung, die etwa auch für die Lyrik Trakls gilt. D.h.: nicht nur die Gattungskriterien sind unverbindlich geworden, es besteht nicht nur kein Zwang mehr, eine ganz bestimmte Form der Aussage zu wählen, es besteht auch kein unmittelbarer Zwang mehr zu einer bestimmten Aussage. Auch die Inhalte scheinen unverbindlich, können beliebig gewechselt, vertauscht und montiert werden. Damit wäre aber ein Punkt erreicht, wo der Glaube des 19. Jahrhunderts an eine Verbindlichkeit der dichterischen Aussage in Frage gestellt wird durch eine Unverbindlichkeit der Aussage.

Hatte Arp den Text 1920 noch ohne textliche Änderungen in seinen ersten Gedichtband "Der Vogel selbdritt" (4)aufgenommen, so verwundert es dennoch nicht, wenn wir bei einem späteren Druck in "On my Way" (5) Varianten und Einschübe feststellen:

kaspar ist tot
weh unser guter kaspar ist tot
wer trägt nun die brennende fahne im wolkenzopf verborgen täglich zum schwarzen schnippchen schlagen
wer dreht nun die kaffeemühle im urfass
wer lockt nun das idyllische reh aus der versteinerten tüte
wer verwirrt nun auf dem meere die schiffe mit der anrede parapluie und die winde mit dem zuruf bienenvater ozonspindel euer hochwohlgeboren
weh weh weh unser guter kaspar ist tot. heiliger bimbam kaspar ist tot.
die heufische klappern herzzerreissend vor leid in den glockenscheunen wenn man seinen vornamen ausspricht. darum seufze ich weiter seinen familiennamen kaspar kaspar kaspar.
warum hast du uns verlassen. in welche gestalt ist nun deine schöne grosse seele gewandert. bis du ein stern geworden oder eine kette aus wasser an einem heissen wirbelwind oder ein euter aus schwarzem licht oder ein durchsichtiger ziegel an der stöhnenden trommel des felsigen wesens.
jetzt vertrocknen unsere scheitel und sohlen und die feen liegen halbverkohlt auf dem scheiterhaufen.
jetzt donnert hinter der sonne die schwarze kegelbahn und keiner zieht mehr die kompasse und die räder der schiebkarren auf.
wer isst nun mit der phosphoreszierenden ratte am einsamen barfüssigen tisch.
wer verjagt nun den sirokkoko teufel wenn er die pferde verführen will.
wer erklärt uns die monogramme in den sternen
seine büste wird die kamine aller wahrhaft edlen menschen zieren doch das ist kein trost und schnupftabak für einen totenkopf.
weggis 1912
Für den bio-bibliographischen Zusammenhang ist die hier zum ersten Mal zugesetzte, später in der Arp-Monographie Carola Giedion-Welckers (6) wieder begegnende Datierung "Weggis 1912" von Bedeutung, weil sie wahrscheinlich macht, daß dieses stets dem Dadaismus zugeordnete Gedicht schon vor Entstehung des Dadaismus (1916) geschrieben wurde. (7) Daß es dennoch dem Dadaismus, wohl auch aus Unkenntnis dieser Datierung, zugeordnet wird und zugeordnet werden kann, läßt sich als ein Indiz dafür werten, daß der Dadaismus nicht auf einen Schlag in Zürich erfunden wurde, daß er vielmehr bereits vorbereitet war. (8)

1912 (nach anderen Angaben 1911) hat Arp Kandinsky in München besucht. "Es war die Zeit", erinnert er sich später, "da die abstrakte Kunst sich in die konkrete Kunst zu verwandeln begann, d.h. die fortgeschrittensten bildenden Künstler setzten sich nicht mehr vor einen Apfel, eine Guitarre, einen Menschen oder eine Landschaft, um diese in farbige Kreise, Dreiecke und Vierecke zu verwandeln und aufzulösen, sondern schufen aus eigenster Lust und eigenstem Leide, aus Linien, Flächen, Formen, Farben, selbständige Gebilde. Kandinsky ist einer der ersten, sicher der erste, der es bewußt unternahm, solche Bilder zu malen und entsprechende Gedichte zu schreiben". (9) Es ist nicht nachprüfbar, ob das Gedicht "Kaspar ist tot" in Folge dieses Besuches, was ja denkbar wäre, in einer ersten Fassung niedergeschrieben wurde. Aber selbst wenn man diese Möglichkeit unterstellt, wäre der von Kandinsky vermittelte Impuls auf vorbereiteten Boden gefallen. Bereits für die Jahre 1908 bis 1910 erinnert Arp, "die ersten Versuche, die anerzogenen, konventionellen Kunstformen zu überwinden. Es war eine qualvolle Zeit. Ich lebte einsam am Fuße der Rigi zwischen Weggis und Greppen, in der Schweiz. Im Winter sah ich monatelang keinen Menschen. Ich las, dichtete, zeichnete, malte, bildhauerte winzige Plastiken und schaute aus dem Fenster meines kleinen Zimmers in die von Schneewolken verhangenen Berge. Es war eine abstrakte Landschaft von kompromißloser Strenge. Während ich mit der abstrakten Kunst wie Jakob mit dem Engel rang..." (10) In diesem Zusammenhang läßt sich das vorliegende Gedicht fraglos zu den Versuchen Arps zählen, die "anerzogenen, konventionellen Kunstformen zu überwinden"; bezogen auf den Kandinsky-Besuch, an der Grenze zwischen abstrakter und konkreter Kunst, wobei wir sogleich einschränkend anmerken müssen, daß Arp selbst die Begriffe abstrakt/konkret in keinem Falle sehr streng scheidet.

Wenn wir uns jetzt dem Text selbst zuwenden wollen - wir wählen für unsere Interpretation die erste gedruckte Fassung aus dem Jahre 1919 -, so können wir ihn in einer ersten Annäherung als eine Art Totenklage bezeichnen. Er setzt ein mit der Klage ("weh unser guter kaspar ist tot"). Es folgt eine Gruppe von drei Fragen, die zugleich Eigenschaften bzw. Handlungen des Toten in Erinnerung bringen ("wer trägt nun die brennende fahne im zopf wer dreht die kaffeemühle wer lockt das idyllische reh"). Der Klagende erinnert zwei weitere Eigenschaften des Toten ("auf dem meer verwirrte er die schiffe mit dem wörtchen parapluie und die winde nannte er bienenvater"). Wiederum setzt mit einem dreimaligen Weh die Klage ein ("weh weh weh unser guter kaspar ist tot"), die mit einem Ausruf bzw. einer Anrufung wieder aufgenommen wird ("heiliger bimbam kaspar ist tot"). Die durch Kaspars Tod eingetretene Situation wird angedeutet ("die heufische klappern in den glocken wenn man seinen vornamen ausspricht darum seufze ich weiter kaspar kaspar kaspar"); an Stelle des dreimaligen Weh tritt die Anrufung des Toten, gleichsam seine Beschwörung, die in einer disjunktiven Frage aufgegriffen wird ("warum bist du ein stern geworden oder eine kette aus wasser an einem heissen wirbelwind oder ein euter aus schwarzem licht oder ein durchsichtiger ziegel an der stöhnenden trommel des felsigen wesens"). Die durch Kaspars Tod eingetretene Situation wird als beklagenswert konstatiert ("jetzt vertrocknen unsere scheitel und sohlen und die feen liegen halbverkohlt auf den scheiterhaufen jetzt donnert hinter der sonne die schwarze kegelbahn und keiner zieht mehr die kompasse und die räder der schiebkarren auf"). Noch einmal folgen drei Fragen, die zugleich an Eigenschaften bzw. Handlungen des Toten erinnern ("wer ißt nun mit der ratte am einsamen tisch wer verjagt den teufel wenn er die pferde verführen will wer erklärt uns die monogramme in den sternen"). Zwar wird man durch sein Abbild das Gedächtnis des Toten bewahren ("seine büste wird die kamine aller wahrhaft edlen menschen zieren"), doch vermag das nicht über die Trostlosigkeit der durch seinen Tod eingetretenen Situation hinwegzutäuschen ("doch das ist kein trost und schnupftabak für einen totenkopf").

Ist es noch verhältnismäßig leicht, diese Gliederung aufzuzeigen, gerät der Interpret bei näherem Hinsehen sofort in Schwierigkeiten. So bleibt z.B. unklar, ob "totenkopf" den beklagten Toten oder den Klagenden meint. Nur der Hinterbliebene bedürfte des "trostes" und des "schnupftabaks". Dann wäre der Hinterbliebene durch "totenkopf" gekennzeichnet. Semantisch gehört "totenkopf" aber zu einem Toten, dem man (das wäre ja denkbar) "schnupftabak" mit ins Grab legen könnte. Doch bedarf der Tote wiederum nicht des "trostes". Schließlich ließe sich noch die Lesart vertreten, daß die "büste" kein "trost und schnupftabak", also kein Ersatz für einen Toten ("totenkopf") sei.

Diese Schwierigkeiten lassen sich auch deutlich an vier bisher vorliegenden Interpretationsversuchen ablesen, die wir aus instruktiven Gründen hinzuziehen wollen. Ein erster Erläuterungsversuch stammt von Wolfdieter Schnurre (11), doch sollte man hier nicht eigentlich von einer Interpretation sprechen, eher von einer feuilletonistischen Paraphrasierung eines vorliegenden Gedichts. Einige Feststellungen Schnurres führen weit ab vom Text; denn daß Kaspar "ein metaphysisches, wenn nicht gar göttliches Wesen", "kein Geschöpf aus Fleisch und Blut" sondern "Geist", gar die "Phantasie" war, läßt sich mit keiner Textstelle
belegen. Andere Feststellungen Schnurres sind eigene Erfindung und auch bei größter Freizügigkeit nicht aus dem Text zu folgern: "Sehen wir uns doch nur jene halbverkohlten Feen auf den Scheiterhaufen einmal genauer an: wie konnte es denn zu diesem unwürdigen Trauerspiele kommen? Ihre Flügel waren vor Kummer zerweint, ihre Tarnkappen vom Schneuzen verbraucht, sie mußten - und sichtbar auch noch - zu Fuß gehen seit Kaspars Tod: so hat man sie also geschaßt."

Den zweiten Erläuterungsversuch hat Peter Härtling unternommen. (12) Auch er weicht vor der augenscheinlichen Schwierigkeit der Interpretation in die Paraphrasierung aus. Doch sieht Härtling, was Schnurre übersieht: das Spielerische des Textes. Allerdings interpretiert er den Kaspar dabei u.E. zu sehr in die Figur des Puppenspiels hinein: "Kobold des Absurden", "Figur vieler Märchen", die Feen als "Kaspars holdester Umgang", "Kaspargeist" usw. Auch bleibt Härtling mit Erklärungen wie "Geist des 'Allesmöglichen', des kindlichen Hexens" bei dem vergeblichen Versuch, einen in sich unverständlichen Text in verständliche Umgangssprache zu übersetzen.

Erwin Rotermund klammert von vornherein eine traditionelle Interpretation aus und projiziert den Text im Zusammenhang seiner Theorie, daß es sich um eine "integrale Parodie im strengen Sinne" handle, auf eine barocke Poetik:

Es handelt sich hier um eine freie Imitation der Gattung Totenklage, deren bestimmende Elemente auch in diesem Gedicht vorhanden sind. das "Lob" Kaspars geschieht... in der Erwähnung der "Tugenden" ("schöne grosse seele"), der "herrlichen Thaten und Verdiensten" ("wer verjagt nun den sirokkoko teufel"). Die "Klage" liegt vor allem in den "Weh"-Rufen; die Aufforderung zur allgemeinen Trauer ist ersetzt durch ihre Darstellung ("die heufische klappern herzzerreissend vor leid", "darum seufze ich"). Das dritte zur Gattung Totenklage gehörende Element, der "Trost" für die Zukunft, ist nur kurz im letzten Satz vertreten: die Büste Kaspars "wird die kamine aller wahrhaft edlen menschen zieren". Mit dem Topos "alle Menschen" erscheint noch einmal das hyperbolische "Lob". Die Schlußwendung schränkt den "Trost" der Büste als "castrum doloris" abschließend wieder ein und erneuert dadurch die "Klage".
Den Mittelpunkt des Gedichtes bildet die Apostrophe an "die Manes oder den Geist des Verstorbenen", die in der Leichenrede meistens am Schluß steht. In fast symmetrischer Anordnung gruppieren sich die Lob- und Klagepartien um den Mittelteil - ein Aufbau, dem die rhetorische Redeweise mit ihren zahlreichen Parallelismen und anaphorischen Wendungen entspricht.
Dadurch, daß diesen Strukturschichten ein eigentlich ungemäßer Gegenstand, die grotesk-phantastisch umgebildete Kinder- und Märchenwelt um die Figur des Kaspar unterschoben wird, entsteht die Diskrepanz des Gedichts. (13)
Die vierte, ebenfalls mit wissenschaftlichem Anspruch auftretende Analyse findet sich in Alfred Liedes Buch über die Unsinnspoesie im Kapitel "Hans Arp und der Tod". Liede führt im Anschluß an den zitierten Text, den er "eines der eindringlichsten" von Arps frühen Gedichten nennt, aus:
Hier hält nicht mehr der Rhythmus volkstümlicher Dichtung sondern der einer sinnlosen Totenklage des größten Jammers die Kette der Bildassoziationen zusammen. Das Gedicht ist so sinnlos wie die Totenklage alttestamentlicher Klageweiber. Das Pathos der anaphorisch wiederholten Fragen usw. trägt eine Häufung eigenartiger Bilder. Hier nähert sich Arp barockem Ausdruck unsinnigen Schmerzes, etwa bei Lohenstein, mit einem Unterschied freilich, der den Abstand dreier Jahrhunderte markiert: seine Wortfolgen tauchen aus dem Meer des Unbewußten empor, während der Barockpoet die Grenzen der Sprache meist durch Kombination und Häufung überlieferter Bilder erreicht. Arps Rhetorik hat barocke Züge, neben der Anapher und der Bilderhäufung besonders in der Verwendung der als Bindemittel gedachten Alliteration. Hier und da erinnern die Bilder auch an solche der Bibel. (14)
Uns scheint wichtig, daß wie schon Rotermund so auch Liede auf den Ansatz einer traditionellen Interpretation verzichtet, der sprachlichen Form des Textes vor allem seine Aufmerksamkeit schenkt, literarhistorische Bezüge andeutet und das Gedicht als "sinnlos, dem Ausdruck unsinnigen Schmerzes" angenähert, an den "Grenzen der Sprache" versteht.

Wir wollen jedoch noch von einer anderen Seite an den Text herangehen. Dabei stimmen wir mit Liede und Rotermund darin überein, daß es sich um eine Art Totenklage handelt. Totenklagen sind in der Literaturgeschichte in mancherlei Ausformung bekannt: als (germanisches) Totenlied, als Epikedeion, als Nänie, als Threnos, als Ode und Elegie, um die wichtigsten zu nennen. Ihnen allen ist gemeinsam:

1. Sie stellen eine Gelegenheitsdichtung im wörtlichen Sinne dar.
2. Unter dem Eindruck des Todes sind sie Klage und (über die Erinnerung) Preis zugleich.
3. Sie neigen zu einer Beschwörung des Toten, zu dem der Lebende noch eine Art magische Bindung fühlt.
4. Als Klage und Beschwörung verlangen sie, formal mehr oder weniger gebunden, den elegischen Tonfall der längeren Zeile.
Für die Entwicklung der Totenklage war dabei weniger eine metrische Form als vielmehr eine Stimmungslage ausschlaggebend. Im Barock etwa finden wir die Totenklage in Form der Elegie. Opitz empfiehlt sie 1624 für traurige Sachen und Liebesdinge. Gottsched widmet ihr in seinem "Versuch einer Critischen Dichtkunst" ein ganzes Hauptstück "Von Elegien, das ist, Klagliedern und verliebten Gedichten". Im Einverständnis mit Horaz bezeichnet er die Elegie als eine "niedrige Art von Gedichten". "Sie soll nämlich in einer natürlichen und fließenden Schreibart abgefasset werden, einen traurigen Inhalt haben, und fast aus lauter Klagen bestehen". (15) Denn "eine geschminkte Schreibart würde hier, durch ihr künstliches Wesen nur anzeigen, daß der Witz mehr Theil an der Schrift habe als das Herz". (16) Formal verlange die Elegie "ungleich zusammengesetzte, oder abwechselnde Verse von zweyerley Gattung. Dieses sind nun theils die langen heroischen, theils die kürzern fünffüßigen Verse der Griechen und Lateiner". (17) Für unsern Zusammenhang interessant ist noch eine abschließend von Gottsched zitierte Passage aus der "Dichtkunst" Boileaus: "Mit einer etwas höheren Sprache, ... die doch aber nicht verwegen ist, weis die klagende Elegie, in langen Trauerkleidern, mit zerstreueten Haaren, unter einem Sarge zu seufzen". (18)

Bezogen auf "Kaspar ist tot" bemerken wir sogleich weitgehende Übereinstimmungen oder doch Ähnlichkeiten mit Totenklagen oder Elegien dieses Inhalts. (19) Wir haben die Klage, die Erinnerung an die Eigenschaften des Toten, die, gemessen an dem durch seinen Tod eingetretenen trostlosen Zustand, gleichsam zum Preis werden. Wir haben in dem dreimaligen Benennen seines Namens den Anruf, ja fast eine Beschwörung; denn dem Anruf folgt die direkte Anrede in einer disjunktiven Frage. (20) Aber die Ähnlichkeiten gehen noch weiter: an Stelle der von Horaz und Gottsched geforderten "ungleich zusammengesetzten Verse" haben die späteren Fassungen einen (allerdings nicht regelmäßigen) Wechsel zwischen längeren und kürzeren Zeilen. Und zwischen der von Gottsched konstatierten "niedrigen und natürlichen poetischen Schreibart" und der Arpschen Diktion mit ihren umgangssprachlichen und literarischen Allgemeinplätzen könnte man vielleicht eine Ähnlichkeit sehen.

Es handelt sich bei unserem Text demnach um eine Totenklage um Kaspar, eine Elegie über Kaspars Tod. Wer dieser Kaspar ist, bleibt jedoch unklar. Nach Knauers Konversationslexikon ist Kaspar ein persischer Name und bedeutet "Schatzhüter". Genauso gut könnte aber einer der heiligen drei Könige, der Suppenkaspar aus dem "Struwwelpeter" oder der Kaspar des Puppenspiels gemeint
sein. Aus der literarischen Situation der Zeit böte sich schließlich noch Kaspar Hauser an. Auch die Eigenschaften und Taten dieses Kaspar sind im Zusammenhang unverständlich: er trug eine brennende Fahne im Zopf; er drehte die Kaffeemühle; er lockte das idyllische Reh; er verwirrte die Schiffe mit dem Wörtchen Parapluie; er nannte die Winde Bienenvater; er aß mit der Ratte am einsamen Tisch; er verjagte den Teufel, wenn der die Pferde verführen wollte. Zwar sind einige dieser Eigenschaften bzw. Taten, für sich allein genommen, verständlich: das Drehen der Kaffeemühle ist eine banale häusliche Tätigkeit; das Setzen des Wortes Bienenvater für Winde ließe sich als Setzen einer Metapher interpretieren; das Erklären der Monogramme in den Sternen könnte man mit "die Sternbilder erklären" übersetzen. Andere Eigenschaften bzw. Taten Kaspars bleiben jedoch unverständlich, unerklärbar, in sich unsinnig. Und nimmt man alles zusammen, wird vollends unklar, was es mit diesem Kaspar nun eigentlich auf sich hatte. Unklar und unverständlich, kurz unsinnig ist auch der Zustand der durch den Tod Kaspars eintritt: die Heufische klappern in den Glocken; Scheitel und Sohlen vertrocknen; die Feen liegen halbverkohlt auf den Scheiterhaufen; die schwarze Kegelbahn hinter der Sonne donnert; die Kompasse und die Räder der Schiebkarren werden nicht mehr aufgezogen. Unsinnig ist ferner das Schicksal Kaspars nach seinem Tode: ist er ein Stern geworden oder eine Kette aus Wasser oder ein Euter aus schwarzem Licht oder ein durchsichtiger Ziegel? Schon die Konstruktion läßt den Satz ja semantisch in Unsinn umschlagen. Unsinnig ist schließlich, wie schon gezeigt, der Schluß. Wir haben es also mit einer in einem wörtlichen Sinne unsinnigen Totenklage (21) zu tun, mit Unsinnspoesie. Das läßt sich erhärten, wenn man die späteren erweiterten Fassungen hinzuzieht, die das Unsinnige ja nur vermehren. Aber die Feststellung der unsinnigen Totenklage reicht zur Erklärung ebenso wenig aus wie die Interpretation als Parodie bei Rotermund. Das Gedicht ist beides zugleich.

Überprüft man den vorliegenden Text auf sein Vokabular, kann man eine Anzahl Wörter vor allem drei Themenbereichen zuordnen: Tod ("tot", "schwarz", "vertrocknen", "halbverkohlt", "scheiterhaufen", "büste", "totenkopf"), Feuer ("brennende", "stern", "heisser wirbelwind", "schwarzes licht", "ziegel", "vertrocknen", " halbverkohlt", "scheiterhaufen", sonne", "kamine"), Wasser ("meer", "schiffe", "parapluie", "kompasse"). Doch kommt es zu keiner eigentlichen Todes-, Feuer- oder Wassermetaphorik. Die auftretenden Wortkonnexe relativieren entweder die einzelnen Bildbereiche ("kette aus wasser an einem heissen wirbelwind") oder sie sind in sich bereits unsinnig ("euter aus schwarzem licht") oder sie werden, an sich verständlich, im Kontext unverständlich. Auf die Natur, den Kosmos wird zwar mit einigen Worten angespielt ("meer", "winde", "stern", "wirbelwind", "wasser", "licht", "sonne", aber es kommt weder zu unmittelbar einsichtigen Bildern noch zu einer mittelbar einsichtigen Bildlichkeit wie z. B. in klassischen Elegien. Dagegen macht ein genaues Hinhören deutlich, daß das Vokabular bevorzugt zwei Bereichen entnommen ist. Der erste Herkunftsbereich wäre die Umgangssprache, genauer der umgangssprachliche Allgemeinplatz: "unser guter kaspar"; "wer dreht nun die kaffeemühle"; "heiliger bimbam"; "die räder der schiebkarren"; "aller wahrhaft edlen menschen". Hinzu kommt in den späteren Fassungen: "täglich zum schwarzen schnippchen schlagen"; "herzzerreissend"; "schöne grosse seele"; "warum hast du uns verlassen". Bei "heiliger bimbam" ließe sich an eine Parallelbildung zu "heiliger Strohsack" denken. "kaffeemühle" und "schiebkarren" sind nicht gerade lyrische Interieurs. Darüber hinaus haben diese umgangssprachlichen Allgemeinplätze z.T. eine literarische Vergangenheit: z.B. die "schöne grosse Seele" der Empfindsamkeit; die "wahrhaft edlen menschen" erinnern an Goethes Maxime "Edel sei der Mensch". - Auf der anderen Seite begegnet eine Anzahl romantischer Requisiten (vor allem der Stimmung): "reh", "winde", "schiffe", "glocken", "stern", "wasser", "licht", "sonne", "kamin". Bei "jetzt donnert hinter der sonne die schwarze kegelbahn" könnte man fast an ein
Bild Jean Pauls denken. Die "feen" und der "teufel, wenn er die Pferde verführen will" spielen die Welt des Märchens an. "bienenvater" und "parapluie" finden sich auch bei Wilhelm Busch; "heiliger bimbam" erinnert an Morgensterns "Bim, Bam, Bum". Haben wir auf der einen Seite also umgangssprachliche Allgemeinplätze, könnten wir hier von literarischen Allgemeinplätzen sprechen. Doch erscheinen weder die umgangssprachlichen noch die literarischen (Requisiten und) Allgemeinplätze in einem zu erwartenden Kontext. Sie treten vielmehr zu überraschenden Verbindungen zusammen, erscheinen in überraschenden Konnexen und erzeugen so Unverständlichkeit und Unsinn. Und wir sind geneigt, hier an die Lautreamontsche Erklärung zu denken: Il est beau comme la réctractilité des serres des oiseaux rapaces ... et surtout, somme la rencontre fortuite sur une table de dissection d'un machine à coudre et d'un parapluie!" (22)

Unsinnstexte dieser Art sind aber nur dann möglich, wenn die Inhalte der Worte, wenn die ihnen zugewiesenen Stimmungs- und Gefühlswerte verbraucht sind. Das würde auch erklären, warum keine wörtliche Beziehung Arps z.B. zur Romantik mehr besteht in Form der zitierenden Übernahme oder Anspielung. Denn das würde ja voraussetzen, daß die angespielten Inhalte noch gemeint sind. So aber finden wir in dem vorliegenden Gedicht eine nur noch in Wortrequisiten vorhandene romantische Welt, völlig durcheinandergebracht: eine Textwelt, die aus Trümmern und Requisiten willkürlich und kombinatorisch erzeugt und zugleich wieder zerstört wird: eine unsinnige, eine verkehrte Welt in Sprache. Die Struktur der Totenklage bewirkt dabei, daß diese unsinnige Welt nicht auseinanderfällt. Bei einer solchen im Spiel mit der Sprache, aus sprachlichen Versatzstücken zusammengebrachten Textwelt kann es natürlich nicht mehr um eine Vermittlung von Inhalten (wie auch immer) gehen, was übrigens voraussetzt, daß dem Autor die Sprache als Sprache, als Sprachmaterial bewußt ist, das er spielerisch handhaben kann. (23) Entstehende Inhalte haben so zunächst nur einen Zufälligkeitswert. Darum kann auch eine so zufällige Textwelt beliebig durch sprachliche Zusätze vermehrt werden.

Wenn Arp nun in der überraschenden Kombination sprachlicher Requisiten und Allgemeinplätze so etwas wie eine Totenklage, eine Elegie erzeugt, handelt es sich natürlich nicht mehr um ein echtes Gelegenheitsgedicht, nicht mehr ernsthaft um das Bedürfnis, einen Gedanken in der Form der Kunst auszudrücken (Hegel); vielmehr um die Banalisierung und Parodierung einer literarischen Ausdrucksform. Der Tod Kaspars wäre dann nichts weiter als eine parodistische Fiktion, ein Vorwurf für Unsinnspoesie. (24) Daß das von Arp beabsichtigt war, läßt sich mit der Überschrift des zweiten Drucks im "Dada Almanach" stützen: "Schwalbenhode" ist fraglos als Verballhornung von Schwalbenode zu verstehen. (25) Überdies ist auch diese Überschrift wiederum parodistische Fiktion. Denn von Schwalben ist ja im Folgenden nicht die Rede. Und auch das zeigt, daß es Arp hier nicht um den Inhalt, eine echte Aussage, die in der Überschrift indexikalisch angespielt wäre, geht.

Wenn wir jetzt noch einmal an die Arpsche Äußerung erinnern, er habe in den Jahren 1908 bis 1910 die ersten Versuche unternommen, "konventionellen Kunstformen zu überwinden", so können wir hinzufügen, daß diese Versuche im vorliegenden Fall zur Verkehrung einer literarischen Ausdrucksform in Unsinnspoesie, zur Parodierung einer literarischen Ausdrucksform geführt haben. Und wir können hinzusetzen, daß das nur möglich ist, wenn dem Autor die "anerzogenen konventionellen Kunstformen" als "vergangen", als nicht mehr erfüllbar erscheinen. Nun ist im literaturhistorischen Zusammenhang interessant, daß Rainer Maria Rilke im selben Jahr, in dem Arp (wahrscheinlich) sein "Kaspar ist tot" niederschrieb, auf Schloß Duino mit der Niederschrift seiner "Duineser Elegien" begann. Während also beim jungen Arp eine literarische Ausdrucksform nur noch ein parodistischer Vorwand für Unsinnspoesie ist, baut der späte Rilke seinen "Weltinnenraum" auf. Während Rilke noch einmal versucht, die Sprache zu "entgrenzen", spielt Arp mit ihren verbrauchten Elementen. Und während Rilke "das Dasein des Menschen als eines Singenden, das heißt Rühmenden" entfaltet und feiert", während seine Elegien "schwer deutbare, in letzte Tiefen und Gesichte versunkene Schöpfungen" (27) sind, entwirft Arp in seiner Parodierung einer literarischen Ausdrucksform eine unsinnige und damit eigentlich nicht deutbare Eigenwelt des Textes, ein Kompendium überraschender, zufälliger und unsinniger Konnexe, baut er eine verkehrte Welt auf, die zugleich wieder in sich selbst zerstört wird, eine Textwelt, die nichts mit dieser Welt zu tun hat, sie nicht abbildet und nicht deutet: eine Welt aus Sprache und Spiel.

Und vielleicht könnte man noch einen Schritt weitergehen und sagen, daß diese Textwelt aus Sprache und Spiel auch ein Sich-in-Freiheit-Setzen gegenüber der Tradition der Poesie bedeutet. Das letzte, was überhaupt Inhalt einer Elegie sein kann, ihre Parodierung (vgl. Anm. 25), ist zugleich ein intellektuelles Vergnügen am Täuschen der Erwartungen (Elegie, Totenklage, romantische Requisiten). Dieses gezielte Täuschen der Erwartung aber, das Verstellen des "Sinns" und "Unsinns" ließe sich dann verstehen als eine Selbstbefreiung des Intellekts über sich selbst hinaus, als ein sich freigewordenes Lachen im Gegensatz. Und vielleicht ließe sich hier schließlich sogar von einer Heiterkeit als Selbstgenuß der Freiheit sprechen.

[Der Deutschunterricht, Jg 18, 1966, H. 3, S. 51-62]

Anmerkungen
1) Anthologie Dada. Dada 4-5. Achevé d'imprimer le 15 Mai 1919.
2) Dada Almanach. Im Auftrag des Zentralamts der deutschen Dada-Bewegung hrsg. von Richard Huelsenbeck. Berlin 1920, S.114-6, 145-6.
3) Z.B. bildet das Gedicht "Verschlungene Knaben blasen das Wunderhorn" des Bandes "Der Vogel selbdritt" an anderer Stelle den ersten Teil der fünfteiligen "Wunderhornkonfiguration" u.v.a.m.
4) Der Vogel selbdritt. Berlin: Privatdruck 1920.
5) On my Way. Poetry and Essays 1912-1947. New York 1948. S.11.
6) Giedion-Welcker, C.: Hans Arp. Stuttgart 1957, S. XXXVII.
7) Es ist dabei für unseren Zusammenhang unwesentlich, ob und wieweit sich die 1912 niedergeschriebene Fassung von der 1919 gedruckten Fassung unterscheidet. Daß der Unterschied so gravierend nicht gewesen sein kann, machen zwei kurze, 1913 im "Sturm" veröffentlichte Prosastücke wahrscheinlich.
8) Wir verweisen hier vor allem auf den aufschlußreichen Versuch Paul Pörtners, in seinem Essay "Dada vor Dada" eine Vorgeschichte des Dadaismus zu skizzieren (in: Das war Dada. Dichtungen und Dokumente. Hrsg. von Peter Schifferli. München
1963).
9) Der Dichter Kandinsky. Zit. nach: Wie sie einander sahen. Hrsg. von H.M. Wingler. München 1957. S.82.
10) Einsam am Fuße der Rigi. In: Unsern täglichen Traum... Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1954-1954. Zürich 1955. S.7.
11) Mein Gedicht. Begegnungen mit deutscher Lyrik. Hrsg. von Dieter E. Zimmer. Wiesbaden 1962. S.6f.
12) Kuttel Daddeldu grüßt Anna Blume. Eine Galerie literarischer Geister, vorgestellt von Peter Härtling. Südd. Rundfunk. Radio-Essay vom 30.12.1960.
13) Rotermund, E.: Die Parodie in der modernen deutschen Lyrik. München 1963. S.121.
14) Liede, A.: Dichtung als Spiel. Studien zur Unsinnspoesie an den Grenzen der Sprache. Bd I. Berlin 1963. S.370.
15) Zit. nach der 4. vermehrt. Aufl., Leipzig 1751- S.657.
16) Anm. 15, S.658.
17) Anm. 15.
18) Anm. 15, S.668.
19) Vgl. vor allem die weiter oben zitierten Ausführungen Rotermunds.
2O) Eine Beschwörung folgt nicht semantisch-logischen Gesetzen. Es ist deshalb nicht uninteressant, daß die folgende disjunktive Frage semantisch ja unsinnig ist.
21) Wenn Liede in dem weiter oben gebrachten Zitat davon spricht, daß sich Arp dem "barocken Ausdruck unsinnigen Schmerzes, etwa bei Lohenstein" nähere, verwechselt er die beiden Bedeutungsschichten des Wortes "unsinnig": das Unsinnigwerden, das Unsinnigsein vor Schmerz oder Klage etwa in der baroeken Totenklage und den sprachlich erzeugten semantischen Unsinn bei Arp.
22) Oeuvres complètes. Paris 1946. S.i99.
23) Hier ist eine interessante Parallele zum bildnerischen Werk Arps gegeben. 1915, so berichtet Arp, sei ihm das erste Bild geglückt aus einem "Spiel und Bauen mit elementaren Formkörpern", den Steinen eines Kinderbaukastens. Auf Arps literarische Arbeiten übertragen, könnte man nicht nur vom vorliegenden Text sagen; daß er aus dem Spiel mit (allerdings verbrauchten) Sprachelementen "gebaut" ist. Ähnlich berichtet John Malcolm Brinnin Über Gertrude Stein: "Language was still her own button box, and she had sorted and arranged its contents in every conceivable way" (The third Rose. Gertrude Stein and her World. Boston, Toronto 1959. S.306).
24) Als Arp ca. dreißig Jahre später den Tod seiner ersten Frau beklagt, zeigt sich sofort der Rückfall; - wir beziehen uns auf die zwischen 1943 und 1945 geschriebenen "Sophie"-Gedichte. Hier, im Falle der echten Klage, ist es ihm nicht mehr möglich, mit sprachlichen Elementen, mit Allgemeinplätzen und Requisiten zu spielen. Er setzt sie ernsthaft ein und wird banal, fast kitschig. "Den zu Tode Getroffenen", schreibt er später, "interessieren die Formprobleme nicht mehr. Er will sich dem unkörperlichen Reiche nähern. Er nimmt Abschied in kindlichen Mitteilungen. Der Unterschied zwischen einem zum Tode Verzweifelten und einem zum Tode Getroffenen ist groß. Der Verzweifelte kann sich in den Bau seiner Verzweiflung verschanzen, dem zu Tode Getroffenen stürzt die Welt ein. Die Eitelkeit des Menschen wurde mir unerträglich und die Kunst und die "Wirklichkeit" sinnlos". (wortträume und schwarze sterne. Wiesbaden 1953. S.11).
25) In der Literaturgeschichte sind Ode und Elegie nicht immer strikt getrennt. Vietor spricht in seiner "Geschichte der deutschen Ode" z. B. auch von der elegischen Ode. Es ist durchaus denkbar, daß für Arp Ode und Elegie etwa dasselbe bedeuten. Dann würde bereits die Überschrift die Absicht der Parodie anzeigen. - Und noch etwas könnte hier angemerkt werden. Klagegedichte über Tiere sind seit der Antike bekannt, etwa die Klage Catulls um den toten Sperling "Lugete, o Veneres..." Auch diese Tradition wird dann mit der Arpschen Überschrift in Frage gestellt, parodiert, umso mehr, als ja gar kein Klagegedicht über Schwalben folgt. Und vielleicht könnte man in diesem Zusammenhang sogar noch sagen, daß die Parodierung der Ode bzw. der Elegie zugleich auch das letzte ist, was überhaupt Inhalt einer Ode bzw. Elegie sein kann.
26) Martini, F.: Deutsche Literaturgeschichte. Stuttgart l2. Aufl. 1963. S.486.
27) Anm. 26.