Reinhard Döhl: Zu den Lithographien Friedrich Siebers Das Lithografieren als Handwerk des Künstlers scheint heute aus der Mode und Übung gekommen. Die meisten, überdies im Kürzel sogenannten "Lithos" sind auf der Offsetpresse vervie1fältigt, die Arbeit des Künstlers ist auf den Entwurf beschränkt. Doch gibt es noch einige junge Künstler, denen die Herstellung einer Lithografie ein handwerklich notwendiger Prozeß beim Herstellen von Kunstwerken ist. Zu ihnen würde ich als einen ihrer besseren Vertreter, den Stuttgarter Friedrich Sieber rechnen. Was ich an anderer Stelle bereits als für die Siebersche Malweise als eigentümlich herausste11te, gilt gleichermaßen für sein Lithografieren: eine langsame, oft unterbrochene, durch wiederholte Korrekturen bestimmte Produktion, deren Ergebnisse in der Wahl der Mittel wie in den vorgeführten Lösungen das ausgesprochen farbmateriale Denken Siebers erkennen lassen. Die noch gegenständ1ichen Lithografien aus dem Jahre 1953 markieren einen Entwicklungsschritt, der bei intensiver Beobachtung und Beachtung farbmaterialer Eigengesetzlichkeiten zu einer die Arbeiten Siebers kennzeichnenden strukturellen Auflösung der Figuration führte. Die sich mit der Demonstration purer Strukturenentwicklung begnügenden Lithografien seit 1959 zeigen dann aber sehr schön, wie eine erste aesthetische Entscheidung, der Ansatz, alle weiteren Abläufe notwendig mit bestimmt. Interessant dabei ist, daß Sieber feinste Farbabläufe, wie er sie auf seinen Bildern vorführt, auf dem Stein durch Stricharten, Strichsorten, wie er die Art seiner Pinselführung durch Gesten ersetzt. Ferner, daß die Gesten, die man auf den schwarz-weißen und farbigen Lithografien noch deutlich erkennen kann, im folgenden zusehends verschwinden zugunsten einer äußerst sensiblen "Vibration" des Schwarz, für Goethes Farbenlehre keine Farbe, und für die meisten Drucker einfach Druckerschwärze. Anders für Sieber, für den Schwarz durchaus den Stellenwert einer Farbe hat. Da aber Schwarz nicht wie andere Farben aus ihrer Eigenart als Farbe das besitzt, was man "Vibration" nennt, wurde für Sieber die Arbeit auf dem Stein, die Abfolge der Stricharten und Strichsorten, von wesentlicher handwerklicher Bedeutung, um so dem Schwarz dennoch die verlangte "Vibration" abzugewinnen. Schließlich wählte Sieber statt der Tusche Kreide, die sich auf dem Stein bis zu einer äußersten Feinheit wegschaben läßt und dadurch beim Druck lichte Grautöne ermöglicht (im Gegensatz zum satten Schwarz beim Verwenden von Tusche) und so feinere Weißkontakte ermöglicht. Dieselbe Aufmerksamkeit, die Sieber der Arbeit auf dem Stein zuwendet, er benötigt statt der üblichen drei oft sieben und mehr Ätzgänge bzw. Korrekturätzungen, bis die Lithografie so kommt, wie sie soll, - dieselbe Aufmerksamkeit wendet er schließlich der Wahl des Papiers zu. Da es durchaus Konsequenzen hat, ob man glattes, rauhes oder wie rauhes Papier man wählt, trifft Sieber die Papierwahl nach dem, was er auf seiner Lithografie zeigen will. Auch das verrät deutlich das Auge eines Malers, der in kleinsten Grau- und Schwarzschritten zum weißen Grund noch "Dehnungen", "Quetschungen", "Randumläufe" und "Farbgefälle" entdeckt, die ihn aufhalten, beschäftigen und faszinieren. In dem Maße die handwerkliche Kunst des Lithografierens aus der Übung und Mode kommt, geht auch das Verständnis für die Lithografie als grafisches Blatt verloren. Sammler, die auf der 0ffsetpresse vervielfältigte Lithos kaufen, sind Banausen. Der Kenner dagegen wird auch weiterhin die Lithografie suchen, die zeigt, daß ihr handwerkliches Können zugrunde liegt, daß ihr Hersteller das Verhalten der gestaltenden Mittel (Tusche, Kreide, Ätze usw.) auf dem Stein von Grund auf kennt, daß die hervorgebrachten Effekte ebenso wenig zufallig sind wie die Wahl des Papiers. Friedrich Sieber ist so ein Lithograf, Handwerker und Künstler. |