Albrechts Privatgalerie | Ausstellung 4 - Friedrich Sieber


Die Besucher der Äusstellung "mobile 1" werden sich der Bilder Friedrich Siebers erinnern, die man durchaus in einer Nachfolge Kandinskys verstehen kann, indem Sieber augenscheinlich material denkt und die Selbständigkeit der Farben insbesondere für ihn Problem und Programm ist. Friedrich Sieber malt seit 1956 abstrakt: Bilder, deren Entstehung sich meist über einen längeren Zeitraum erstreckt, aber auch "wilde Bilder", wie er sie nennt, die verhältnismäßig schnell runtergemalt werden. Heute überwiegt bei seiner Produktion das langsam, in wiederholten Prozessen entstehende Bild.

Die frühen Arbeiten Friedrich Sieber zeigen eine ausgedehnte Chromatik bei starker Struktur-Schichtung (wobei er unter Struktur zunächst immer Farb-Struktur versteht. Im Verlaufe weiteren Experimentierens entdeckte Friedrich Sieber bald, daß jede angesetzte Farbe zu einem "Gefälle" in einer bestimmten (Farb)richtung tendierte (z.B. rot zu braun, rot zu lila, rot zu gelb). Daß er alsbald diese Vorgänge übersah, einkalkulierte und sie als Vorgänge material-malerischen Verfahrens bewußt handhabte, beweist seinen Sinn für Malerei als Bewußtsein visueller Möglichkeiten. So entdeckte er auch, daß der Ablauf eines Farbgefälles von der Bildmitte diktiert wird; daß die Bildmitte speziell ein Gefälle am Rande diktiert, das Friedrich Sieber in seiner Atelierterminologie als "Randumlauf" bezeichnet.

Bedeutet das Gefälle zum Rande hin eine scheinbare "Dehnung", so involviert der "Randumlauf" als gegenläufige Wirkung eine scheinbare "Quetschung". Durch das Aufreißen des Gefälles in der "Dehnung" und das Drehen in ein Gegengefälle, das Unterlaufen der "Dehnung" durch die "Quetschung", erreicht Friedrich Sieber das, was er in einem Bildtitel von 1960 "Verwindung" nennt. (Es ist fast unnötig anzumerken, daß die Aufnahme der Atelierterminologie in die Bildtitel dem materialen Bewußtsein einer solchen Malerei entspricht.)

Seit 1900 dienen die Arbeiten Friedrich Siebers dem Versuch, zu immer engeren "Farbkontakten", d.h. zu einer immer engeren Struktur im ober genannten Sinne zu kommen; dienen die Arbeiten dem Versuch, die "Gefälle" innerhalb eines Bildes so zu lenken, daß sie an möglichst vielen Stellen des Bildes zu einem Abschluß gelangen (bedingt auch durch die eigenen Abschlußrege!n jeder Farbskala). Gemessen an noch formgebundener Malerei (z.B. bei den Bildern Kirchbergers), die ein steileres Farbgefälle benötigt, um die Form nicht sinnlos werden zu lassen, entwickelt Friedrich Sieber mit seinen Bildern bei immer flacher werdendem Farbgefälle eine Art form-loser Malerei, deren "Angrenzungsprobleme" er Ende 1961 in der Reihe "Imaginationen" zu lösen unternimmt. Dabei entstehen Bilder, die entweder zunächst (bei flachem

Farbgefälle) durch eine Farbe interpretierbar sind (das ist ein grünes Bild; das ist ein graues Bild usw.), oder Bilder, bei denen die Randabläufe im Zentrum so etwas wie eine Form erscheinen lassen (rot in rosa), und denen wir wesentliche Bedeutung beimessen möchten.

Die moderne Ästhetik hat davon gesprochen, daß die moderne Malerei in den wenigsten Fällen auf der Höhe ihrer Errungenschaften und Möglichkeiten sei, und daß man die jungen Maler weniger für die Errungenschaft, umso mehr aber am Niveau interessieren müsse. In einer so attackierten Malerei scheint Friedrich Sieber fraglos eine Ausnahme. Was die Errungenschaften betrifft, war von einer denkbaren Nachfolge Kandinskys bei Vorherrschaft der Farbe bereits die Rede; die Problematik des steilen bzw. flachen Farbgefälles ist ebenfalls älter (und schon bei Hölzel, Nolde u a. z.B. anzutreffen); fraglos hat Friedrich Sieber auch die 2. Phase des Tachismus gestreift (die wilden Bilder) und daraus gelernt; und schließlich weisen ein Großteil seiner letzten Bilder (so die "Imaginationen") auf eine allerdings legitime monochrome Malerei hin, insofern sie sich folgerichtig aus seiner Entwicklung ergeben. Was das Niveau betrifft, erweist das bewußte Handhaben malerisch-materialer Verfahren Friedrich Siebers Sinn für Malerei als Bewußtsein visueller Möglichkeiten, hebt ihn als antiprovinziell aus einem provinziellen Kunstbetrieb hervor.

Will man partout einen Namen finden, wird man von Friedrich Sieber vielleicht am besten als von einem bewußt (farb)materialen expressiven Maler sprechen, der unter seiner Malerei eine bewußte Anstrengung des (inneren und äußeren) Auges und der Hand versteht (und das hat auch sehr viel mit Niveau zu tun). Anstrengung des Auges bedarf es also auch auf Seiten des Betrachters. Friedrich Sieber vermag deutlich sehbar zu machen, was auf seinen Bildern drauf ist. Es ist am Betrachter, das zu sehen.

[forum academicum, Jg 13, H. 3, Juli 1962, S. 32]