Reinhard Döhl | Problem der Farbe


Günther C. Kirchberqer gehört zu einer Reihe von Malern, denen es zunächst um das Problem der Farbe, weniger um das Problem der Form, an das Kandinsky ja auch gedacht hat, geht. Dabei tut Kirchberger nicht nur so - er malt abstrakt. Auch hält er die Entdeckung eines Putzlappens oder eines physikalischen Prozesses nicht gleich für die Entwicklung eines eigenständigen Stils. Beides ist heute nicht mehr selbstverständlich.
Wenn man die abstrakten Bilder Kirchbergers (seit ungefähr 1957) in der zeitlichem Reihenfolge ansieht, sind zwei Zäsuren deutlich ablesbar. Zunächst war Kirchberger von einer völlig zugemalten Fläche ohne eindeutige Farbigkeit, von enger Struktur und beschränkter Chromatik ausgegangen. Er füllte mittlere und große Formate, von denen ich die mittlerem bevorzuge.

Die erste Zäsur liegt 1959/50, und was Kirchberger seither gemalt und versucht hat, läßt sich an dieser Ausstellung gut verfolgen. Damals jedenfalls kehrte er scheinbar noch einmal zur zugemalten Fläche zurück - bei Vorherrschaft der Farbe.

Es gibt aus dieser Zeit ein fast zugemaltes rotes Bild: helleres Rot befindet sich in und auf dunklerem Rot. Was sich bei den späteren Bildern als Fläche bezeichnen läßt, tritt auf und hervor. Am oberen Rand und zwischen den Rots werden Spuren von Schwarz sichtbar, die im Hintergrund bleiben.

Bei den folgenden Bildern wird grundierte Leinwand sichtbar, die die Farbmassen zusammensehen läßt. Farbmassen treten zusammen als sich konstituierende Flächen. Das Schwarz verläßt den Zustand der Spur und drängt sich in Gegensatz zu roten, blauen, grünen, blauen möglichen Flächen in den Vordergrund als möglicher Gegensatz. Auf der freigewordenen grundierten Leinwand tauchen balkenförmige Gebilde von oben (oder später von der Seite) ins Blickfeld und gehen durch oder brechen ab oder verlaufen sich. Hier deutet sich bereits ein späteres Problem Kirchbergers an: die Störung des vorgegebenen, gewählten Formats durch einen malerischen Eingriff ins Format, wovon ich noch zu sprechen habe. Meist entsteht jetzt in der Mitte des Bildes ein schwarzes flächenähnliches Gebilde, das durch eine nachträglich eingeritzte Zeichnung zerstört wird, die den Malgrund ersichtlich werden laßt.

In der folgenden Zeit übermalt Kirchberger alte Bilder mit enger Struktur und beschränkter Chromatik, weil sie nicht mehr stimmen. Ich interessiere mich für dieses unseres Erachtens zu früh abgebrochene Experiment von einem theoretischen Standpunkt. - Augenscheinlich befindet sich zwischen dem Bild, das man betrachtet, und der Leinwand ein weiteres Bild, deutlich erkennbar aber nicht identifizierbar. Spuren dieses unkenntlich gemachten Bildes treten als Stör- und Streumoment in des Bild, das man betrachtet. Zufällig oder als kalkulierte Störung repräsentieren sie sozusagen eine Leerstelle, die der Maler dem Betrachter hinterläßt, fraglos haben Format und Anlage des übermalten Bildes den Prozeß des Malens mitbestimmt. Und in dem Maße, als die nicht tilgbaren oder auch absichtlich stehengelassenen Spuren in die flächigen Formationen der neuen Malweise eingreifen, liefern sie einen über das nun sichtbare Bild hinausgehenden Herkunftsbereich mit, der in die Auseinandersetzung mit dem Bild mit einbezogen werden muß, indem er dem Bild eine weitere Dimension zuführt, ähnlich dem aktuellen Problem des Zitats in der moderner Textbildung.

Wie gesagt bricht Kirchberger diese Versuche ab und geht in der Folge zu einer pc-Serie, zu postkartengroßen Gouachen und Spezialwachsmischtechniken über, weshalb sich das Frühjahr 1961 als zweite Zäsur bezeichnen läßt. Wie schon auf den mittelformatigen Ölbildern von 1960 lassen sich die nachträglich eingeritzten Zeichnungen, abgesehen von ihrer Funktion als Störung, als eine Hinwendung zu einer abstrakten Figürlichkeit interpretieren, was nichts mit Gegenständen zu tun hat (oder anders ausgedrückt: was nicht Abstrahierunq von Figuren heißt). Die inzwischen abgeschlossene pc-Serie bedeutet fraglos eine Wichtige Phase in Kirchbergers Entwicklung und läßt eine Reihe interessanter Beobachtungen zu. Da ist zunächst die Berührung von malerischen und grafischen Elementen. Die Gestik (von der nach der Art informel so oft und oft falsch die Rede war) verdichtet sich zur Form, die sich aus Teilgesten zusammensetzt. Exakter müßte man für Geste allerdings den Terminus Zeichen einführen, (doch das nur als Anmerkung und Hinweis auf eine mögliche exaktere Terminologie). Ich sehe dabei diesen Vorgang der Verdichtung der Geste zur Form als einen - auch formatbedingten - legitimen Verdichtungsprozeß.

Der auch in der pc-Serie auftauchende senkrechte oder waagrechte Balken teilt der Bildraum in zwei Teile, wodurch das vorgegebene und zunächst gewählte Format im Bild gestört und verändert wird. Das zu bearbeitende Format ist also verschieden zum vorhandenen. Der Balken steht als statisches Moment gegenüber einer Form aus Teilgesten. Die aus Teilgesten zusammengesetzte Form ermöglicht die Zerstörung durch eine eingeritzte Zeichnung. Die Zerstörung ist also zweifach: Störung des vorgegebenen Formats durch den Balken und Störung der aus Teilgesten zusammengesetzten Form durch eingeritzte Zeichnung. Das Zerreißen der Form figuriert die Fläche. In einem abstrakten Sinne bekommt die Fläche Figurbedeutung usw.

Diese aus Teilgesten zusammengesetzte Form (nicht die angestrichene Leinwand) - die Zerstörung der Form (nicht des Zerschneiden von Leinwand) - die Betonung des Problems der Farbe (nicht eine Gebrauchsgrafik monochromen Anstrichs) - die malerisch legitime Handhabung der Geste (nicht der riesenformatige Gestenzauber der Anstreicher) - die ehrliche Auseinandersetzung mit dem Format (nicht der Trend zur unbewältigten Riesenfläche) - der konsequente Weg von der Nichtbeachtung des Problems der Form zur organisch gewachsenen Form aus Teilgesten bei Beachtung des Problems der Farbe (nicht einfallsloser Konstruktivismus) - die behutsame Entwicklung des einen aus dem anderen schließlich machen Kirchhergers Bilder sympatisch und sehenswert, seine Entwicklung zu einer Entwicklung, die interessiert, sie machen aber auch jenen Bestandteil echter künstlerischer Bescheidenheit aus, vor allem dem Material gegenüber, mit dem gearbeitet wird, - einer Bescheidenheit, die ich bei vielen heutigen Malern vermisse.

Man könnte Kirchberger, wenn man partout eine Schublade benötigt, als einen bewußt materialen Maler, seine Bilder als materiale Malerei kennzeichnen. Das Problem einer solchen Malerei ist, daß sie nicht einfallslos werden darf, daß die geistige Spannung die Auseinandersetzung mit dem Material, mit dem gearbeitet wird, und der Zwang zum Experiment nicht nachlassen dürfen, schließlich: daß auf den Bildern etwas gezeigt wird. Und auf Kirchbergers kleinen, mittleren, ja großen Formaten wird, wobei ich mit Helmut Heißenbüttel einer Meinung bin, deutlich etwas gezeigt. Das Was und des Wie kann jeder mit sich und den Bildern ausmachen. Diese fordern es heraus.

[Cercle Franco-Allemand / Deutsch-Französische Gesellschaft, Baden-Baden 16.1.1962; Galerie Baier, Mainz, Juni.1962]