Albrechts Privatgalerie | Ausstellung 1 - Günther C. Kirchberger

Eines Tages sagte sich Albrecht, daß es so nicht weitergeht, daß auf vielen Bildern sehr wenig, dahinter aber umso mehr gemacht wird. Bilder sind für Albrecht Gebrauchsgegenstände, die man auf- und abhängen kann. Nur, was auf der Leinwand passiert, passiert ist und zwischen Bild und Betrachter immer wieder hin und her passiert, ist von Bedeutung (hat also etwas mit Ästhetik zu tun). Nichts mit Ästhetik zu tun haben gewisse Formen des Kunstgeschäfts, das Anstreichen von Leinwand und die Entdeckung physikalischer Fakten oder von Putzlappen, was manche Leute für die Entwicklung eines eigenen Stils zu halten scheinen. Albrecht spricht im folgenden übrigens von abstrakten Bildern, Gegenständen usw., weil er der Meinung ist, daß (mit wenigen Ausnahmen) gegenständliche Bilder, Gegenstände usw. genausowenig Beachtung verdienen wie Putzlappenmaler, Anstreicher usw.

Albrecht begann also systematisch Galerien und Ateliers zu durchforschen. Am liebsten besah er sich Bilder in Ateliers, weil da noch keine Geschäfte mit gemacht werden (wobei Albrecht zugeben muß, daß es zwar Kunst ist, solche Geschäfte mit nicht oder weniger angestrichenen Leinwänden zu machen, daß es aber meist keine Kunst ist, mit der diese Geschäfte gemacht werden). Hinter den Kulissen bestätigte sich so, was Albrecht schon hinter mancher Leinwand der 2. documenta vermutet hatte. Und die Ausstellung "internationale malerei 1960/61" in Wolframs-Eschenbach, ein Musterfall moderner Ausstellungspolitik, war, mit einer Messe intoniert, das totgeborene Kind deutschen Kunstgeschäfts und eitler metaphysischer Spekulation. Nicht in Wolframs-Eschenbach und nicht unbedingt häufig fand Albrecht aber doch in den Ateliers manchen interessanten Maler oder Plastiker.

Einen Maler entdeckte Albrecht in einer großen Altbauwohnung im Westen Stuttgarts. Er heißt Günther C. Kirchberger, ist 33 Jahre alt und beschäftigt sich material. Er hatte Ausstellungen in Belgien, Italien, England und der Schweiz. Er hatte auch Ausstellungen in Deutschland, wo er umso weniger bekannt wurde, als ihn die landesübliche Intrige und Prostitution vom Markt zu drängen versuchte. Wenn man in Kirchbergers Entwicklung forscht, stößt man auf eine der deutschen Kunstakademien. In Gesprächen begegnen Grünewald, Baumeister und Turner. Im Atelier finden sich frühe gegenständliche Bilder, die Kirchberger nicht weitergemalt hat. In einem Katalog schließlich liest man einen bemerkenswerten Text Heißenbüttels (zur Ausstellung in der Galerie Müller, Stuttgart April/Mai 1961), der mehr über die Bilder Kirchbergers und Bilder überhaupt sagt als die Vielzahl der Vorwörter und einige Kunstzeitschriften vorgeben zu tun und dabei doch nichts weiter gewinnen als eitles Geschwätz.

Wenn man die abstrakten Bilder Kirchbergers in der zeitlichen Reihenfolge ansieht, sind zwei Zäsuren ablesbar. Zunächst war Kirchberger von einer völlig zugemalten Fläche ohne eindeutige Farbigkeit, von enger Struktur und beschränkter Chromatik ausgegangen. Er wählte mittlere und größere Formate.

Allmählich wird am Bildrand grundierte Leinwand sichtbar.

Die erste Zäsur liegt 1959/60. Kirchberger kehrt scheinbar noch einmal zur zugemalten Fläche zurück bei Vorherrschaft der Farbe. Das Problem dieser Malerei erweist sich deutlich als das Problem der Farbe, weniger das Problem der Form in einer denkbaren Nachfolge Kandinskys. Am Rande werden Prozesse ausgelöst, die Farbmassen zusammentreten lassen zu farbigen Flächen. Grundierte Leinwand wird sichtbar. Auf der freigewordenen grundierten Leinwand tauchen balkenförmige Gebilde von oben (oder von der Seite) ins Blickfeld und gehen durch oder brechen ab oder verlaufen sich. Meist entsteht in der Mitte des Bildes ein schwarzes, flächenähnliches Gebilde im Gegensatz zu Rot, Braun, Grün oder Blau, das durch eine nachträglich eingeritzte Zeichnung zerstört wird, die den Malgrund ersichtlich werden läßt.

Da Kirchberger im folgenden auf postkartengroße Formate (Gouachen, Mischtechniken) ausweicht, läßt sich das Frühjahr 1961 als zweite Zäsur erkennen. Wie schon auf den Ölbildern bedeuten die eingeritzten Zeichnungen Hinwendung zu einer abstrakten Figürlichkeit (die aber nichts mit Gegenständen zu tun hat). Die "pc-serie", deren Ende bereits abzusehen ist, ist fraglos eine wichtige Phase in Kirchbergers Entwicklung. Sie läßt darüber hinaus eine Vielzahl interessanter Schlüsse auf moderne Malerei zu.

Da ist zunächst die Berührung von grafischen und malerischen Elementen. Die Gestik von der nach der art informel so oft die Rede war) verdichtet sich zur Form, die sich aus Teilgesten zusammensetzt. Wir sehen dabei diesen Vorgang als einen (auchformatbedingten) legitimen Verdichtungsprozeß. Der auch in der "pc-serie" auftauchende senkrechte oder waagrechte Balken teilt den Bildraum in zwei Teile. Dadurch wird das vorgegebene und zunächst gewählte Format im Bild gestört und verändert. Das zu bearbeitende Format ist also verschieden vom vorhandenen. Der Balken steht als statisches Moment gegenüber einer Form aus Teilgesten. Die aus Teilgesten zusammengesetzte Form ermöglicht die Zerstörung durch eine eingeritzte
Zeichnung. (Die Zerstörung ist also zweifach: Störung des vorgegebenen Formats durch den Balken und Störung der aus Teilgesten zusammengesetzten Form durch eingeritzte Zeichnung). Das Zerreißen der Form figuriert die Fläche. Die Fläche bekommt Figurbedeutung usw.

Diese aus Teilgesten zusammengesetzte Form (nicht die angestrichene Leinwand), die Zerstörung der Form (nicht das Zerschneiden von Leinwand), die Betonung des Problems der Farbe (nicht eine Gebrauchsgraflk monochromen Anstrichs), die malerisch legitime Handhabung der Geste (nicht riesenformatiger Gestenzauber der Anstreicher), die ehrliche Auseinandersetzung mit dem vorgegebenen Format (nicht der Trend zur
unbewältigten Riesenfläche), der Weg von der Nichtbeachtung des Problems der Form zur organisch gewachsenen Form aus Teilgesten bei Beachtung des Problems der Farbe (nicht einfallsloser Konstruktivismus), das behutsame Entwickeln des einen aus dem andern schließlich machen Kirchbergers Bilder sympathisch und sehenswert, sie machen auch jenen Bestandteil echter künstlerischer Bescheidenheit aus, vor allem dem Material, mit dem gearbeitet wird, gegenüber - einer Bescheidenheit. die Albrecht bei den meisten Konjunkturanstreichern vermißt. (Davon einmal abgesehen, haben Kirchbergers "pc-Bilder" wegen des kleinen Formats noch den Vorteil des geringen Preises, was bei den durch Kunst- und Kuhhandel bedingten üblichen Preisen und den dicken Börsen der oft durch keinen Kunstverstand getrübten heutigen Kunstsammler durchaus anzumerken ist).

Wie gesagt hat Albrecht in den Ateliers manchen interessanten Maler (Plastiker oder Architekten) gefunden. Einer davon ist Günther C. Kirchberger. Andere will Albrecht demnächst vorstellen. Denn vorgestellt werden müssen sie, denkt Albrecht, vor die Leinwände, Plastiken oder Häuser, hinter denen sich mancher gemanagte Anstreicher, Formgießer oder Maurer besser verstecken sollte.

[forum academicum, Jg 12, H. 6, November 1961. S. 35]