Harolde de Campos: G.C. Kirchberger


Was mich an den Bildern G.C. Kirchbergers von Anfang an beeindruckte, war das klare Konzept des dialektischen Prozesses in der Entwicklung seiner Malerei. Sie ist zunächst eine Konfliktmalerei. Auf der einen Seite der Konflikt zwischen Licht und Farbe, auf der anderen Seite ein suprematistisches Empfinden für Leere, leere Fläche, Raum innerhalb eines Raums in Richtung des Umraums: ich denke dabei an ein großes Bild aus dem Jahre 1959(58), in dessen oberer rechter Ecke plötzlich ein Raum aufbricht, eine Leere, die nach weiterem Raum verlangt und sich auf eine Art impressionistische Farbigkeit bezieht - ein erstaunliches Sichöffnen dem Unbekannten,der Überraschung, will sagen: der ästhetischen Botschaft. Dann gibt es den Konflikt zwischen dem, was Kirchberger Bildumraum (surrounding) und Bildereignis (happening) nennt, zwischen geometrischem Modell und der dialektischen Negation dieses Modells durch freie malerische Geste. Diesem Konflikt sind andere untergeordnet, denn diese Malerei baut sich notwendigerweise auf einer Vielzahl von Konflikten auf. So bilden exakte elementare geometrische Formen einen Kontrapunkt zu anderen Formen aus freier Hand, gleichermaßen als würde dem Betrachter auf eine visuelle Art erzählt, daß zum Beispiel ein Quadrat unter dem Gesichtspunkt der Gestalt immer ein Quadrat ist, sei es geometrisch perfekt, sei es in mehr oder weniger quadratischer Flecken. Ferner gibt es Dialoge oder Zwischenspiele verschiedener Materialstrukturen: innerhalb einer klar angesetzten Form erscheint oft halb verschleiert die Andeutung einer anderen und - oder - klare monochrome Flächen treten mit anderen in ein kontrapunktisches Verhältnis, wobei die Farbskala mit äußerstem Fingerspitzengefühl variiert und differenziert wird. Nebenbei bemerkt trägt diese Malerei gelegentlich asiatische Züge, nicht nur kalligraphische, sondern auch kompositorische: die Art der Verteilung leerer Stellen erinnert bisweilen an japanische Paravents, wo alles mit einigen wenigen Pinselstrichen und einer Menge freien Raums beginnt und endet. Ich habe Kirchberger gesagt, daß auf seinem Bild "s. lazzaro vescovo" eindeuttg ein japanisches kanji zu lesen ist, das Ideogramm für "kuchi" = Mund: ein braun umschriebenes weißes Quadrat. Es ist als würde dieses Bild auf visueller Ebene den Betrachter emblematisch zum Dialog auffordern. Diese Eigenart der écriture, die wir in Kirchbergers Malerei finden, ist vielleicht auch der Ausgangspunkt zu seinen Experimenten mit Grafik-Text-Integrationen, die in Zusammenarbeit mit einem jungen Autor entstehen. Aber es muß ebenso der Wille zur Konstruktion herausgestellt werden, der in Kirchbergers formaler Vorstellungswelt vorhanden ist, und der auf eine nichtdiskursive Materialität der malerischen Fakten zielt. Für ihn bedeutet ein Triptychon nichts als die Zahl 3. Und so kann er ein Triptychon malen, in dem Farbe und Form, entsprechend der Grundidee: 3 = 3, seriell gehandhabt werden Bei den neuesten Arbeiten Kirchbergers kann man sehen, daß das Moment der Konstruktion, des disziplinierten Bewußtseins schrittweise die informelle organische Geste zu überwiegen beginnt: der Maler ist dabei, eine dritte Phase seiner dialektischen Malerei zum Abschluß zu bringen.

[Druck in Katalog G.C. Kirchberger. Stuttgart: Galerie Müller 1964]