Eine sich zu Beginn der sechziger Jahre immer deutlicher zeigende Verhärtung der literarischen Fronten und Standpunkte in der Bundesrepublik ließ mancherorts den Gedanken reifen, nach neuen Wegen und Formen der Kommunikation mit dem Publikum und des Gedankenaustauschs der Schriftsteller untereinander zu suchen. Abgestoßen von der Starrheit der Gruppierungen und der zunehmenden Kommerzialisierung der Literatur blieb jedoch nur die Möglichkeit, aus der Not des kulturellen Provinzialismus eine Tugend zu machen, also das literarische Leben gleichsam von unten her, aus der Provinz, zu erneuern. So ist es zu erklären, daß sich um die Mitte dieses Jahrzehnts in einigen Städten eine bislang ungewöhnliche literarische Aktivität entfaltete, die auch schon auf das kulturelle Bewußtsein der Bundesrepublik einzuwirken beginnt. Daß dabei der Begriff der Heimat, der jedoch keinesfalls mit provinzieller Enge und Rückständigkeit verwechselt werden darf, eine Wertsteigerung erfuhr, verdient hervorgehoben zu werden.
In diesem Zusammenhang sind auch die Tage für "neue literatur in hof" zu sehen, die 1966 unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters - mit Unterstützung der Stadt und des Kulturbundes zum ersten Male veranstaltet wurden. Das Programm bestand aus drei Leseabenden, an denen - neben dem Veranstalter - die Schriftsteller Martin Gregor-Dellin, Ludwig Harig, Reinhard Döhl, Franz Mon und Günter Eich auftraten. Den Lesungen folgte eine Podiumsdiskussion über das Thema "Literatur und Provinz", an der sich Professor Beda Allemann, Carl Amery, Dr. Hellmut Geißner, Horst Petri und der Veranstalter beteiligten. Im Anschluß an die gut besuchten und von der regionalen und überregionalen Presse erfreulich positiv beurteilten Veranstaltungen entschloß sich die Zeitschrift ,"Kulturwarte" zur Herausgabe eines literarischen Sonderheftes mit unveröffentlichten Beiträgen der meisten Tagungsteilnehmer.
Günter Eich: Unsere Eidechse; lecur; Ein Postfach | Franz Mon: aus "herzzero" | Ludwig Harig: skat | Reinhard Döhl: aus "Die 13 Kapitel Es Anna" | Claus Henneberg: aus "Während einer Flut" (I) | Horst Petri: Literatur und Provinz - ein Nachtrag | Beda Allemann: Liechtenstein als Weltmodell | Hellmut Geißner: Literatur und Provinz, Nachgetragenes.Durch den Erfolg ermutigt konnte im nächsten Jahr versucht werden, die Tage für "neue literatur in hof" durch eine Schau von Druck- und Buchstabenbildern zu erweitern, auf der insgesamt 62 Arbeiten Von Josua Reichert, Ferdinand Kriwet, Gottfried Faßbender, Klaus Warmuth, Klaus Burkhardt Siegfried Cremer und Hansjörg Mayer gezeigt wurden, von dem auch die Veranstaltungsplakate und Sonderheft-Umschläge der "Kulturwarte" stammen. Der Einführungsvortrag zur Ausstellung wurde von Dr. Reinhard Döhl gehalten. Gleichzeitig fand auch eine Ausstellung von Graphiken und Illustrationen des Malers Hans Dahlem statt. Das Programm sah außerdem Lesungen von Hans Noever, Ror Wolf, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Jürgen Becker und Wolfgang Weyrauch vor, der seinen Auftritt allerdings kurzfristig absagen und auf einen späteren Zeitpunkt verschieben mußte. Stattdessen wurde in einer Urlesung mit verteilten Rollen die gekürzte Fassung einer Pop-Komödie des Veranstalters vorgestellt. An der Podiumsdiskussion über das Thema "Literatur und Wissenschaft" beteiligten sich unter Leitung von Dr. Hellmut Geißner die Publizisten und Wissenschaftler Dr. Wolfgang Beutin, Dr. Reinhard Döhl, Dr. Karl Riha und Dr. Franz Schonauer. Den Abschluß der Tage für "neue literatur in hof" bildete ein literarisches Kabarett, in dem Ernst Jandl, Reinhard Döhl sowie Hellmut und Ursula Geißner auftraten. Wie im Vorjahr, erschien auch ein literarisches Sonderheft der Zeitschrift "Kulturwarte".
Hellmut Geißner: Literarisches Kabarett | Ernst Jandl: MUSTERKOLLKTION | Wolfgang Beutin: Neun Thesen über Literatur und Wissenschaft | Wolfgang Weyrauch: Asanerie | Friedrike Mayröcker: Erstes Hauptstücke. von der Verwandlung einer sehr merkwürdigen irrationalen in eine rationale Gestalt; "mon 28" | Jürgen Becker: Ränder: 6 Passagen | Claus Henneberg: aus "Während einer Flut" (II) | Ror Wolf: der Bart die Bärte (Fragment 1966 mit einer Reminiszenz 1967).Für die im Oktober 1968 stattfindende Woche "neue literatur in hof" ist außer an Lesungen bekannter deutschsprachiger Autoren an ein literarisches Hearing, einen Abend mit Vertonungen zeitgenössischer Literatur und eine Zusammenarbeit mit der Lesebühne des Werkraumtheaters gedacht, auf der Einakter junger deutscher Dramatiker zur Diskussion gestellt werden sollen. [...]
Kultur in Hof, 1968