Nach fünf Jahren "neue literatur in
hof" könnte man resümieren: Ein Sohn der Stadt veranstaltete
unter wohlwollendem Schulterklopfen - gepaart mit einer Art sensationeller
Neugier der sozialen Schicht seiner Herkunft - Lesungen seiner Freunde,
die gleich ihm, irritiert von einer Vielzahl der Erscheinungsweisen
moderner Gesellschaftsformen versuchen,
diese Irritation zu artikulieren. Das kindergartentantenähnliche Wohlwollen
mußte in dem Augenblick umschlagen, in dem das anfängliche Publikum
der Hofer Literaturtage sehen konnte, daß die Autoren in diesem Sinne
keine braven Kinder sind, sondern durchaus sehr eigenwillige Gedanken und
Vorstellungen entwickelten. Ein wirklich interessiertes Publikum aber stieß
sich andererseits erklärlicherweise an den Darbietungsformen dieser
Artikulationsversuche im Rathaussaal, im Haus der Jugend, im Kath. Vereinshaus
etc., weil sich gesellschaftliche Irritation, auch wenn sie nur sprachlicher
Natur ist, und subventionierter Kulturbetrieb, bzw. gesellschaftliches
Ereignis nicht zusammenbringen lassen. Versuche, von der falschen Zielgruppe
sich zu lösen, waren eine Lesung in der Fabrik, eine Ausstellungseröffnung
auf der Straße, die allerdings aus verschiedenen Gründen nicht
fortgeführt wurden. Ein abrupter Zielgruppenwechsel ist in einer so
verfahrenen Situation nicht möglich. U.a. aus diesen Gründen
halten wir eine Fortführung der Hofer Literaturtage in der bisherigen
Form für sinnlos, zumal ein neuerlicher Entschluß, mit der Literatur
auf die Straße zu gehen, das Dilemma nur verschleiern würde.
Die sinnvolle Konsequenz scheint dagegen eine Klausurtagung von Autoren,
Kritikern und Publikum möglichst noch in diesem Jahr zu sein, die
grundsätzlich die Widersprüche zwischen literarischem Artikulationsversuch
und öffentlicher Rezeption zu klären versucht.
Es ist dar klassische Widerspruch zwischen
Theorie und Praxis, der auch angesichts der Tatsache, daß Literatur
ein Prozeß gesellschaftlicher Natur ist, immer wieder diskutiert
werden muß. Und den zu diskutieren nur eine spätbürgerliche
Konzeption der Hofer Literaturtage, sprich Kulturbetrieb, sprich gesellschaftliches
Ereignis, vergessen konnte. Wir werden bei der notwendigen Klausurtagung
in erster Linie also nicht die fragwürdige Frage nach der literarischen
Qualität zu stellen haben, sondern die Frage nach der gesellschaftlichen
Funktion literarischer Sprache bzw. von Sprache überhaupt. Es betrifft
bei meiner hiermit öffentlich und ausdrücklich festgestellten
Bewunderung und Verehrung Hans Högns und seiner Biographie - es betrifft
die Klausurtagung ferner, daß die sozialdemokratische Heimatpresse
das Grundgesetz mit den Paragraphen des Menschenrechts verwechselt. Es
kann nicht angehen, daß engagierende, also zum Engagement auffordernde
Texte mit subjektiv engagierten Texten verwechselt werden. So legitim es
ist zu fragen, was Literatur eigentlich sei (wie es etwa im "Bootshaus"
geschah), so illegitim scheint mir die Dummheit der Frage: Was solls?
Karl Marx hat geschrieben, daß der
Anfänger, der eine neue Sprache erlernt hat, sie immer zurück
in seine Muttersprache übersetzt, aber den Geist der neuen Sprache
sich nur angeeignet hat und frei in ihr nur zu produzieren vermag, sobald
er sich ohne Rückerinnerung in ihr bewegt und die ihm angestammte
Sprache in ihr vergißt. Die Klausurtagung würde zu fragen haben,
wieweit das Hofer Modell sowohl den Autor als auch das Publikum in diesem
Sinne als Anfänger ausweist. Es wird schließlich zu fragen sein,
ob in einer solchen Situation die Forderung Kurt Schwitters' nicht erneut
zu stellen ist: Im übrigen wissen wir, daß wir den Begriff der
Kunst erst loswerden müssen, um zur Kunst zu gelangen. Ja, ich möchte
Schwitters' Forderung überspitzen und fragen, ob wir nicht die ganze
Kunst loswerden müssen, um wieder zur Kunst zu kommen, ob wir nicht
den Kunstbetrieb liquidieren müssen, um wieder zu einer Kultur zu
kommen, die keine Unterhaltungsindustrie sondern in einem echten Sinne
gesellschaftliches Ereignis ist.