Heinz Spielmann | gruppe 11 Jede Generation wird sich in irgendeinem Anliegen deutlich von der vorhergehenden absetzen, doch wird die Schärfe der Differenz unterschiedlich sein - je noch der Bedeutung, die man dem Werk der älteren zollt. Die Generation Picassos stellte sich in scharfen Gegensatz zu der der Impressionisten - heute wird man sich nicht ebenso gegen die Generation Picassos wenden, weil eine solche prinzipielle Ablehnung gleichbedeutend wäre mit restaurativem Verhalten. Unsere Generation wird vielmehr eine ähnliche Evolution erfahren wie die jungen Florentiner Manieristen zu Beginn des Cinquecento: Man bewundert im Grunde das Werk der Älteren, das Neue, das man selbst zu sagen hat, ist allem Revolutionären doch dem gerade Vergangenen verpflichtet. Die Parallele zum Manierismus geht weiter, ist nicht nur eine bloße Analogie: In beiden Fällen geht es um eine Kunst in der Erfahrung der Zeit, d. h. der Erfahrung des historischen Bewußtseins. Die Ähnlichkeit der Bewußtseinslage in bezug auf gerade Vergangenes bedeutet aber keine Ähnlichkeit der Probleme. Die jüngste Vergangenheit, mit der sich die "Gruppe 11" auseinandersetzt, ist neben dem Gesamtkomplex der europäischen Moderne - insbesondere die Tradition, die sich in Stuttgart durch Hölzel, Schlemmer, Baumeister, Hartung gebildet hat - eine Auseinandersetzung, die im Prinzipiellen, aber nicht mit Hilfe der Imitation geführt wird. Auch die Problematik, die man aufgreift, greift man nur im Prinzipiellen auf: Früher suchte man primär mit Hilfe der Form Lösungen zu finden, heute dagegen mit der Farbe, d.h. die Realisation erfolgt im Sinnlichen par excellence. Dennoch wäre es irrig, hier von einem bloß sinnlichen Ereignis sprechen zu wollen, vielmehr sucht man experimentell nach sinnlichen Möglichkeiten zur Realisation der eigenen Bewußtseinslage. Hier liegt das Schwergewicht. Das äußerlich so "Willkürlich"-scheinende ist durchaus reflektiert. Wenn man sich in irgendeinem Punkt von der vorhergehenden Generation unterscheidet, dann in dem: sich auf keinen unüberlegten Pinselstrich, keinen bloßen Zufall, keine billige Routine zu verlassen. Noch ein Wort zu gewissen Assoziationen an Erscheinungen der Natur, die gelegentlich in den Bildern der "Gruppe 11" anklingen: Auch hier handelt es sich um ˇhnlichkeiten im Prinzipiellen, in der Struktur, nicht um Ähnlichkeiten einer angestrebten äußeren Übereinstimmung. Es gehört zur Dialektik unserer Situation, daß durch diese Annäherung eben nicht auf die Natur, sondern auf ihr Negat, den Intellekt, verwiesen wird. Die alten Grenzen zwischen Natur und Kunst, Sinnen und Intellekt werden fließend. Mir scheint, die Bilder der "Gruppe 11", Attila Birò, G. C. Kirchberger, G K. Pfahler und Friedrich Sieber, verifizieren so die These der Kybernetik, daß in das Konfinium zwischen Natur und Selbstbewußtsein die "Information" tritt, hier eben "ästhetische Information". Aus Katalog: gruppe 11. Roma: Galleria la Tartaruga 1958 |