Heinz Spielmann | gruppe 11

Will man die gegenwärtige Phase der Kunst so kennzeichnen, daß nicht einzelne, variable Phänomone, nicht spezifische Besonderheiten einzelner Kunstdisziplinen, sondern die allgemeine Situation im Prinzipiellen beschrieben wird, dann muß man vom Vorherrschen dialektischer Gegenbewegungen gegenüber bisher in der modernen Kunst geübten Praktiken sprechen. Die Weiterführung der Abstraktion, die Wegwendung von "natürlichen" Darstellungen, führte zu Ergebnissen, die das gerade Gegenteil, einen Naturzustand, bezeichnen, oder führte, mit anderen Worten, in Umkehrung von der Hegel'schen Definition des Schönen als dem Schein des Realen zum "Realen als dem Schein des Schönen" wie es Max Bense im zweiten Band seiner Aesthetik formuliert. Eine dialektische Gegenbewegung zeigt sich auch darin, daß in der Beschränkung auf die bloßen Realien - wie Worte, Farben, Töne - innerhalb der aesthetischen Produktion gerade nicht das Aesthetische in diesen Realien, sondern im Prozeß, der sich im Übergang von Realien, in der Serie einer Bildreihe etwa, zeigt: erst eine solche Reihe stellt den gesamten aesthetischen Prozeß dar, nicht mehr nur das einzelne konkrete Objekt.

Will man darüber hinaus den Grad dieses dialektischen Verhältnisses angeben, so muß man von einem Stadium der Synthese sprechen, denn trotz Negation der vorhergehenden Zustände, trotz der Negation also von Naturalismen, Expressionismen, Surrealismen und ersten Phasen der Abstraktion, bleibt von jedem dieser Stile etwas Charakteristisches erhalten. Daß es sich dabei um eine Synthese, nicht aber um eine eklektizistische, dekorative Einheit handelt, ist daraus zu ersehen, daß nicht einzelne Elemente neu arrangiert werden, sondern im Durchgang durch die Negation des bereits Vorhandenen ein neuer Stil entsteht.

Situationen solcher dialektischer Wandlungen, wie der oben angedeuteten, sind stets solche, in denen es mehr um Darstellung des Prinzipiellen als schon um perfektionierte Resultate geht; nicht das fertige Ergebnis, sondern das Experiment steht im Vordergrund. Die Tendenz zur Reihe wird dadurch nach verstärkt. Die einzelnen Bilder bezeichnen folglich nur Stadien in der gesamten Genesis einer aesthetischen Idee. Natürlich ist es ein mehr oder weniger willkürlicher Akt der Wahl, welches Bild man als kennzeichnend für die Reihe ansieht. So müssen auch die hier ausgestellten Bilder der "gruppe 11" als Fragmente aus größeren Serien verstanden werden; sie bieten nur stellvertretend einen Einblick in eine Reihe von Produktionsprozessen.

Diese Prozesse wecken leicht Assoziationen an Naturprozesse. So wird man gelegentlich bei g. k. pfahler an geologische Formationen oder bei günther c. kirchberger und friedrich sieber an magnetische Felder erinnert. attila biròs Bilder dagegen sind eher experimentelle Auseinandersetzungen mit mathematischen Figurationen. Trotz dieser gelegentlichen Assoziationen sollte man sich hüten, diese Ähnlichkeiten als Bildinhalte im klassischen Sinn, als gegenständliche Bindungen, zu betrachten. Eine solche Gesinnung wäre lediglich regressiv, bedeutete keinen aktuellen Beitrag zur modernen Malerei. Falls hier von Inhalten gesprochen werden kann, dann nur von solchen, die durch Negationen, Synthesen, Experimente und Prinzipien bestimmt sind. Die scheinbaren Naturprozesse verbergen also Situationen des Bewußtseins.

In Katalog: gruppe 11. München, Am alten Peter: Galerie 17, 1957