Reinhard Döhl
Nichtliterarische Bedingungen des Hörspiels
  • Übertragung und Aufnahme
  • Mikrophon
  • Rundfunkprogramm und Hörspiel
  • Hörer
  • Unterhaltungsprogramm und Hörspiel
  • Offene Mischform Hörspiel
  • Nachrichtenmedium und Hörspiel
  • Zensur
  • Regie
Die Fülle der Literatur über das Hörspiel (1) ist zwischen zwei extremen Positionen angesiedelt, der Bestimmung des Hörspiels als eines reinen Wortspiels (Heinz Schwitzke) auf der einen und der Forderung des Hörspiels als totalen Schallspiels (Friedrich Knilli) auf der anderen Seite. Entsprechend umstritten ist der Literaturbegriff des Hörspiels. Während auf der einen Seite das Hörspiel als literarische Form, als gesicherter literarischer Formbegriff (Stefan Bodo Würffel, Gero von Wilpert, Fritz Martini) angenommen wird - und hier wären auch die bis heute nicht abreißenden Versuche der Zuordnung zu einer der traditionellen Gattungen der Literatur zu subsumieren -, will man vor allem auf Seiten der Dramaturgen für das Hörspiel lediglich einen funkspezifischen Formbegriff zulassen (Werner Klippert). Versuchte Kompromisse bleiben erfolglos, wenn zunächst die Elemente des Hörspiels aufgezählt werden, um sie dann mit Hilfe literaturwissenschaftlicher Begrifflichkeit aufzulösen, etwa die technische Möglichkeit der Blende als Szenenwechsel, mit- bzw. nachvollziehende Phantasie des Hörers als innere Bühne, Rückblende als aufbauende Rückwendung u. a. Wie hier ein Verständnis des Hörspiels als eigengesetzlicher Formtypus durch falsche Annäherung verbaut werden kann, belegt ein Vorschlag Werner Kloses, eines der populärsten Hörspiele Fred von Hoerschelmanns in der 1. Sekundarstufe zu behandeln. (2)

Dagegen stehen Versuche wie der Werner Klipperts, die Elemente des Artefakts Hörspiel, der einzigen genuinen Darstellungskunst, die der Hörfunk hervorgebracht hat, herauszufiltern, ausschließlich den elementaren Bedingungen des Mediums nachzufragen:

Will man wirklich wissen, was es mit dem Hörspiel auf sich hat, wird man von seinen eigentlichen Grundlagen ausgehen müssen. Und das sind nicht Gattungen der Literaturgeschichte, die zudem heute ihre festumrissene Geltung bereits verloren haben, sind nicht Nachbarkünste, die mit der Technik aufkamen wie Film und Fernsehspiel, ist auch nicht die instrumentale Klangkunst der Musik, sondern das sind das elektronische Medium und die Elemente Ton und Geräusch, Wort und Stimme. (3)

Immerhin entgeht ein derartiger Ansatz der Gefahr, durch (literarisches) Vorverständnis die Einsicht in die Eigengesetzlichkeit des Hörspiels zu verstellen. Aber in praxi bliebe hier die Hörspielanalyse auf das Bestimmen eben dieser Elemente verkürzt, blieben die Einsichten in die Gattung gleichsam im formalen Vorfeld stecken. Hinzu kommt, daß in den meisten Fällen die Tatsache, daß das Hörspiel Programm(bestand)teil des Massenmediums Rundfunk ist, nicht in Betracht gezogen wird, daß hieraus resultierende Bedingungen nicht berücksichtigt werden. Wenn also im folgenden von den nichtliterarischen Bedingungen des Hörspiels die Rede ist, schließt das neben den technischen Bedingungen des elektroakustischen Mediums die Bedingungen des Massenmediums mit ein, wird zugleich gefragt, welche Spuren beide im Hörspiel hinterlassen haben oder - anders gefragt - welche Eigenheiten des Hörspiels sich auf diese beiden Bedingungen zurückführen lassen, wobei Vollständigkeit nicht erstrebt wird.

Übertragung und Aufnahme

Der Rundfunk wurde in Deutschland 1923 als Vergnügungsrundspruch institutionalisiert, um - so der Postminister im Reichstag - einem großen Publikum das Mithören zu ermöglichen. Am 15. Oktober 1923 wurde der Deutsche Unterhaltungsrundfunk der Öffentlichkeit übergeben, am 18. Oktober begannen die Versuchssendungen und am 29. Oktober wurde das erste Abendprogramm des jetzt regelmäßigen Sendedienstes ausgestrahlt, dessen noch ausschließliche Musikfolge als gedrucktes Programm erhalten ist. Im März 1924 wird als Zweck der Gesellschaft angegeben: Veranstaltung und drahtlose Verbreitung von Vorträgen, Nachrichten und Darbietungen künstlerischen, belehrenden und unterhaltenden Inhalts. (4) Am 24. Oktober 1924 wird schließlich in Frankfurt mit Hans Flesch's "Zauberei auf dem Sender" (5) das erste Hörspiel in Deutschland gesendet, das den Forderungen Hans Siebert von Heisters entsprach, der als Redakteur der Programmzeitschrift "Der Deutsche Rundfunk" im August desselben Jahres die Gattungsbezeichnung zum ersten Mal benutzt und Hörspiel gedeutet hatte als das arteigene Spiel des Rundfunks [...], das in uns die Illusion einer unmittelbar - vor unserem Ohr - sich abwickelnden lebendigen Handlung zu erwecken vermag. (6) Alle späteren Versuche, den Rhapsoden, die Stimme hinter dem Vorhang oder Geister-, Dämonen-, Götterbeschwörungen, die nachts oder vor einem Publikum mit verdeckten Augen gesprochen wurden, als Vorformen des Hörspiels auszumachen, alle späteren Rückgriffe und Verweise auf Lessing, Schiller und Goethe, auf Nietzsche und Musil sind Spekulation. (7) Voraussetzung des Hörspiels war, wie die damalige Diskussion vor allem in den Programmzeitschriften belegt, und bleibt ausschließlich die technische Möglichkeit der Übertragung und Aufnahme von Stimmen und Tönen. Neunundneunzig von hundert Hörspielen, moniert Karl Würzburger, sind für die Antenne und nicht für das Mikrophon geschrieben. Das Mikrophon wird nur gebraucht, weil sonst nichts über die Antenne in den Äther gesendet werden könnte; (9) und Würffel konstatiert rückblickend als entscheidcnd, daß die Übertragungsmöglichkeit mit Hilfe elektrischer Wellen dem Radiostück nicht allein Rezeptionsperspektiven [...], sondern auch Entwicklungsperspektiven der Form selber eröffnet habe, die tendenziell ebensowenig als abgeschlossen gelten können wie die des technischen Verfahrens. (10)

Mit entsprechendem Stolz werden technische Errungenschaften auch stets von Senderseite vermerkt und dem Hörer, wenn möglich, experimentell vorgeführt. Als 1929 in England der Echoraum 'erfunden' und noch im gleichen Jahr im Münchner Sender ein vergleichbarer Raum installiert wurde, berichtete die Programmzeitschrift "Funk" gleich zweimal darüber. Als es 1928 möglich wurde, die ursprünglichen Direktübertragungen in hinreichender Sendequalität auf wachsbeschichteten Platten mitzuschneiden - das älteste im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt erhaltene Hörspiel-Tondokument, "Hallo! Hier Welle Erdball!" (11) unterrichtet den Hörer abschließend ausdrücklich von dieser Aufnahme und neuen Sendemöglichkeit -, boten sich erste Ansätze zur Bildung eines Hörspielrepertoires, das Brecht schon ein Jahr zuvor, auch aus Gründen einer besseren Honorierung der Autoren, in seinen "Vorschlägen für den Intendanten des Rundfunks" (12) gefordert hatte.

Die Schallplattenaufzeichnung blieb. bis sie nach dem Kriege von der Tonbandaufzeichnung abgelöst wurde, vorerst bestimmend und ließ das technisch interessantere, allerdings teure Tri-Ergon-Verfahren, das um 1930 erprobt wurde, weitgehend in Vergessenheit geraten. Das "Rundfunkjahrbuch 1931" gibt den 13. Juni 1930 als erstes Sendedatum für Hörspiele auf Tonfilmstreifen an und nennt als gesendete Titel eine Neuproduktion von Fritz Walter Bischoffs "Hallo, Welle Erdball" [sic, R.D.] und Walter Ruttmanns "Weekend", ein hörspielgeschichtlich zentraler Beleg, der kürzlich wieder aufgefunden werden konnten. Mit dem Verfahren der Aufzeichnung auf der Licht-Ton-Spur, dem Licht-Ton-Band hatte der Regisseur die technische Möglichkeit, alle Störungen und Improvisationen einer Life-Sendung auszuschließen. Dieses Verfahren gab ihm darüber hinaus kompositorische Möglichkeiten zur Hand, das Hörspiel nicht so sehr vor dem Mikrophon, sondern - wie Hans Flesch es schon im Juni 1928 gefordert hatte - aus dem Mikrophon heraus zu gestalten und dabei absolute Präzision zu bieten:

Bei einem auf Tonfilm aufgenommenen Hörspiel kann nach Abhören durch Schneiden, Überblenden, Ansetzen usw. ein Gebilde geschaffen werden, das der Regisseur als vollständig gelungen betrachtet und nunmehr abends dem Hörer darbietet. [...] Wie der Kinofilm, so wird auch der Hörfilm ateliermäßig gedreht werden müssen. (14)

Da sich diese Technik aus Kostengründen nicht durchsetzen ließ und bald für das Hörspiel in Vergessenheit geriet, blieb für die Verbindung der einzelnen Spielsequenzen, für die Obergänge von einer akustischen Ebene zur anderen die zunächst mit Hilfe einer Art Kaffeehaube, dann mit einem in Breslau entwickelten Potentiometer praktizierte Technik der Blende. Diese Verbindung akustischer Dramaturgie mit der Technik der elektrischen Fernübermittlung, (15) von Bischoff wohl zu Recht als Voraussetzung für die Entstehung erster Formen des wirklichen Hörspiels herausgestellt, wurde in den Folgejahren soweit ausgebildet, daß sich in ihrem Zusammenhang eine folgenreiche Theorie der Blende (16) entwickeln konnte, eine Theorie, die selbst dann noch Gültigkeit hatte, als nach Einführung des Tonbands harter Schnitt (und damit Montage/Collage) möglich gewesen wäre. Erst im Umkreis des Neuen Hörspiels wurde immer häufiger die Blende durch die Technik des harten Schnitts ersetzt.

Die Frage, welche Entwicklung das Hörspiel bei Annahme des Tri-Ergon-Verfahrens genommen hätte, ist bei den Hörspielvorstellungen Bischoffs und Ruttmanns, der in erster Linie Filme machte und hier Ende der 20er Jahre mit so bekannten russischen Dokumentarfilmern wie Wsewolod Pudowkin befreundet war, - die Frage, welche Entwicklung das Hörspiel unter diesen Voraussetzungen möglicherweise genommen hätte, ist nicht nur Gedankenspiel angesichts seiner Abhängigkeit von der Entwicklung des technischen Instrumentariums und eingedenk der von der Forschung leider immer übersehenen Tatsache, daß die mit dem Hörspiel Befaßten den technischen Gegebenheiten oft um eine Nasenlänge vorausdachten. Verwiesen sei hier zum Beispiel auf Vorstellungen, die Anfang der 50er Jahre im Umkreis der sogenannten Genietruppe entwickelt wurden: etwa Helmut Jedeles Unterscheidung von "Reproduktivität und Produktivität im Rundfunk", seine Theorie des produktiven Rundfunks, mit der er Voraussetzungen für eine Ästhetik des Rundfunks schaffen wollte; (17) oder die genaue Beschreibung akustischer Ebenen in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit im Manuskript von Martin Walsers frühem Hörspiel "Die letzte Ausflucht" (nach Arno Schmidt, 1953), die Simultansequenzen in Paul Ohlmeyers "Odilo" (1949) oder Heinz Hubers "Koch bis Kruse" (1953), die mit den herkömmlichen Aufnahmemöglichkeiten kaum zu lösen waren und eigentlich bereits die Technik der stereophonen Aufnahme voraussetzten. (18) Wirklich aufregend werden diese Vorstellungen der Stuttgarter Genietruppe aber erst dadurch, daß sie in den 2Oer Jahren bereits vorgedacht wurden, etwa 1924 durch Rudolf Leonhards Unterscheidung von Produktionsverfahren und Reproduktionsmittel (19) oder 1929 in der Forderung eines stereophonischen Funks, der ein räumliches Hören allein durch funkische Mittel ermöglichen sollte:

Als ein solches kann die Stereophonie betrachtet werden, die aber in der heute üblichen Form - Verteilung parallel geschalteter Mikrophone im Senderaum - keineswegs genügt, vielmehr analog der Stereoskopie durch Ausbildung jedes einzelnen Mikrophons als stereophonisches Doppelmikrophon vervollkommnet werden müßte. (20)

Mikrophon

Mit gutem Grund - die Zitate von Würzburger, Flesch und Bodenstedt deuten dies bereits an - beschäftigt sich die theoretische Diskussion über das Hörspiel immer wieder mit dem Mikrophon, versteht der Rundfunkpraktiker Alfred Braun das Hörspiel als aus den Gegebenheiten des Mikrophons und allein für das Mikrophon geschrieben. Immer wieder einmal begegnet das Mikrophon dem Hörer selbst im Spiel, spielt es in den Überlegungen der Hörspielautoren (nicht nur der 20er Jahre) eine bedeutende Rolle. So erinnert sich Oskar Möhring zur Entstehung seines 1927 von der Reichs-Rundfunkgesellschaft im Rahmen eines Preisausschreibens angekauften Sensations- und Katastrophenhörspiels "Sturm über dem Pazifik":

Ich habe mir, als ich mein Hörspiel schrieb, vorgestellt, auf der fahrenden "Beringeria" stände versteckt eine alles hörende Sendeanlage, und irgendwo säße ein Mensch an einem Empfänger und hörte den Ablauf des Geschehens, der Worte und Töne an Bord des Schiffes. Unsichtbar schrecke ein fern abrollendes Schicksal diesen Hörer, den eine unerhörte Spannung zum Hören zwinge. Er legt den Hörer [= Kopfhörer, R.D.] erst fort, wenn der Nachrichtenfunk sachlich die vollendete Katastrophe meldet. (21)

Interessant wegen der Verbindung von Hörspiel und Nachrichtenfunk, läßt das Zitat zweitens ablesen, wie man dem Hörer zu vermitteln sucht, daß er dabei ist. Drittens bietet das auf dem Schiff installierte Mikrophon die Möglichkeit zu einem Lauschangriff auf die Intimsphäre der Passagiere. Denn in den Kabinen spielt sich eine abwechslungsreiche Spionage- und Liebesgeschichte ab. Der Hörer wird also nicht nur zum scheinbar zufälligen Ohrenzeugen einer Katastrophe, er wird zugleich zum scheinbar zufälligen Ohrenzeugen auch innerer Vorgänge. Dieser akustische Voyeurismus (22), die Illusion des unmittelbaren Dabeiseins hat 1933 zu einer frühen Theorie der Funkerzählung geführt, in der Werner Brink die Funkerzählung vom Hörspiel abhebt mit der Begründung, bei der auf das Selbstgespräch aufgebauten Funkerzählung werde uns ein Geschehen übermittelt durch das Belauschen eines Menschen, in dessen Worten es sich widerspiegele. (23)

Eine solche Definition läßt sich leicht auf Hermann Kessers "Schwester Henriette" übertragen, die als exemplarisch frühes Beispiel des Monologhörspiels gilt. (24) Ob nun Funkerzählung oder Monologhörspiel, wichtig ist, daß das Mikrophon den Wunsch, einen anderen zu belauschen, in der fiktionalen Praxis einlösen kann (und darf), wobei sich die Vorliebe für den inneren Monolog im Hörspiel bis in die 5oer Jahre eher aus diesen Gegebenheiten erklären läßt als aus einer Präferenz des monologischen Erzählens seit der Jahrhundertwende. Daß diese intime Belauschsituation - je nach den belauschten seelischen Vorgängen - der Bereitschaft des Zuhörers, sich zu indentifizieren, weit entgegenkommt, läßt sich vermuten. Bemerkenswert ist, daß das lange Zeit bevorzugte Monologhörspiel mit dem Aufkommen der Stereophonie und dann erst recht der Kunstkopf- Stereophonie fast völlig verschwunden ist. Geht man von der These Richard Kolbs aus, das Hörspiel habe die Aufgabe, uns mehr die Bewegung im Menschen, als die Menschen in Bewegung zu zeigen, (25) so verlagert die Stereophonie den Raum des akustischen Geschehens gleichsam von Innen nach Außen, präsentiert sie die akustischen Ereignisse vor dem Hörer, während die Kunstkopf-Stereophonie - noch unvollkommen (26) - um ihn herum einen akustischen Spielraum aufbaut. Diese Möglichkeit, akustischen Umraum aufzubauen, hat zu der Vermutung geführt, damit habe eine Entwicklung zu größerer Realistik (Ulrich Gerhardt) eingesetzt, dem Reporter sei mit dem Kunstkopf ein Instrument in die Hand gegeben, den Zuhörer noch unmittelbarer beim Geschehen dabei sein zu lassen, als dies bisher geschah. (27) Die zukünftige Hörspielentwicklung wird zeigen, was es mit diesen Vermutungen auf sich hat. Im Augenblick dienen die neuen Techniken, vor allem der Kunstkopf, dazu, die akustischen Illusionsmöglichkeiten (Ulrich Lauterbach) des Mediums, wenn möglich, noch weiter zu steigern, werden sie vor allem im Kriminal- und Science-fiction-Hörspiel zu möglichst intensiver Spannungssteigerung genutzt.

Rundfunkprogramm und Hörspiel

Jeder, der sich mit der Entwicklung und Geschichte des Hörspiels beschäftigen will, wird davon ausgehen müssen, daß zwischen der technischen Apparatur (Mikrophon-Kanal-Lautsprecher), den Programmachern (Sender) und den Programmempfängern (den Hörern) Beziehungen, Wechselverhältnisse bestehen. Und jeder, der über Entwicklung und Geschichte des Hörspiels Auskunft geben will, sollte sich dabei über drei Punkte im klaren sein:

1. Der Rundfunk wurde nicht entwickelt. weil eine Notwendigkeit dazu bestand. Er ist, darüber sind sich die meisten in letzter Zeit zur Geschichte des Mediums vorgelegten Untersuchungen einig, innerhalb der Eklung der elektronischen Nachrichtenmittel [...] ein Nebenprodukt dieser Entwicklung. (28)
2. Die Industrie. die ihn entwickelte. wollte ihr Nebenprodukt natürlich gewinnbringend verkaufen und mußte, da kein notwendiges Bedürfnis bestand. den Markt erst einmal schaffen und erschließen.
3. Sie tat dies auf zweierlei Weise. Einmal, indem sie die Bastelleidenschaft potentieller Hörer ansprach, also den Reiz eines neuen technischen Spielzeugs nutzte. Zum anderen, indem sie Programme erstellen und senden ließ, die den Hörer bei der Stange des neuen Mediums halten, die dem Rundfunk aber auch und vor allem immer mehr Hörer und neue Hörerschichten zuführen sollten.

Die steigenden Hörerzahlen, die sich - bei zunächst relativ hohen Jahresgebühren schließlich bei rund 500000 neuen Rundfunkteilnehmern pro Jahr einpendeln, belegen den Erfolg dieser Absatzstrategie und fordern dazu auf, den Werbewert der Programme nicht zu unterschätzen. Die Zuschrift eines Kinder- Hörers von 1929 - Wenn wir deine Theaterstücke gehört haben, dann träumen wir immer so schön, und dann ärgern sich die anderen Kinder, die keinen Rundfunk haben, daß sie nicht so schön träumen können (29) - eine solche Zuschrift ist möglicherweise bezeichnend dafür, wie der Rundfunk auch für das kindliche Bewußtsein, und auch das wäre ein Erfolg der Absatzstrategie, bereits so etwas wie ein Statussymbol war.

Vom Kind als einer Zielgruppe spricht deutlich ebenfalls Flesch's "Zauberei auf dem Sender", ein Hörspiel, das wie viele folgende zugleich das Medium thematisierte und zugleich den unkritisch konsumierenden Hörer, ein im Anfang dominierendes Musikprogramm sowie die Notwendigkeit einer Programmordnung in spielerisch-grotesker Form vorführte.

(Pause - ein unheimlich kratzendes Geräusch)
MÄRCHENTANTE: Es war einmal ein Rundfunkteilnehmer, der war mit allem zufrieden, was der Sender ihm bot - das ist lange, lange her. Eines Abends...
(spricht immer weiter)
SPRECHER: (setzt bei dem Wort "bot" ein; die Märchentante wird dabei leiser)
Wir bringen ihnen die amerikanische Produktennotierung vom (Datum), Nummero 1 - 678 1/2 - Nummero 2 (usw.)
(Während Sprecher und Märchentante weiterreden, setzen Geige und Klavier mit einem Boston ein -
Nach einiger Zeit kommt eine weibliche Stimme dazu, die den "Lenz" von Hildach singt -
Zwischenrufe mengen sich ein: Zeitvorbereitung! [= Zeitverschwendung?, R.D.] ... Hackebeil! ... Lesestunde! ... Palastschuhhaus! ... Briefkastcn ....
Aus der Ferne kommt eine Trompete dazu und spielt das "Großmütterchen"!
Crescendo! Trommelwirbel!
Schluß mit unisono Krach und Paukenschlag). (30)

Dieser Versuch einer Rundfunkgroteske wurde gesendet, als es das Hörspiel als Programmsparte noch gar nicht gab, seine Existenz lediglich theoretisch durch von Heister vorgegeben war. Im Bewußtsein der Hörer existierte ein Hörspiel zunächst weder als Gattung noch als Wunsch, wie eine Umfrage der Programmzeitschrift "Der deutsche Rundfunk" im Sommer 1924 belegt. Eine Auswertung von 76 000 Werturteilen zu der Frage Wie wünschen Sie den weiteren Ausbau der Programme? ergab folgende Wunschliste (in Prozentpunkten) (31):

1. Operette 83,3 / 2. Tagesneuigkeiten 72,6 / 3. Zeitangabe 71,3 / 4. Kammermusik 63,8 / 5. Gemischtes Konzert 63,5 / 6. Wetterdienst 53,6 / 7. Tanzmusik 48,7 / 8. Oper 48,2 / 9. Wissenschaftliche Vorträge 47,5 / 10. Humor 43,0 / 11. Kabarett 40,5 / 12. Politische Nachrichten 39,4 / 13. Sportnachrichten 38,4 / 14. Unterhaltende Vorträge 35,8 / 15. Chormusik 33,3 / 16. Esperanto 30,0 / 17. Unterricht 28,3 / 18. Sprachkurse 25,7 / 19. Börsenberichte 24,6 / 20. Jugendvorträge 21,7 / 21. Politische Vorträge 18,0 / 22. Mode 17,6 / 23. Märchen 15,4 / 24. Schauspiel 15,0 / 25. Predigten 9,0.

Diese erste Hörerbefragung und ihr Ergebnis machen deutlich, in welchem Maße die Rundfunkanstalten, abhängig von den Wünschen ihrer Hörer-Kunden, versuchten, dem Rechnung zu tragen, wobei sie es mit einem äußerst gemischten Publikum zu tun hatten, wie eine Erhebung der Oberpostdirektion Hamburg 1930 für das Sendegebiet der NORAG ablesen läßt:

Betriebe und selbst. Erwerbstätige 25,3 / Beamte, Militärpersonen, Lehrer 11,7 / Angestellte 22,9 / Arbeiter 23,9 / Sonstige 16,2. (32)

Die genannten Zahlen reichen aus, die Hypothese aufzustellen, daß sich das Hörspiel bei seiner Entstehung aus den verschiedenen Bedürfnissen der Hörer, aus den Programmbedingungen des Rundfunks mit konstituiert.

Wenn man Flesch's "Zauberei auf dem Sender" heute als Hörspiel bezeichnet, geschieht dies rückblickend, denn es wurde gesendet, als es das Hörspiel - wie gesagt - weder als festumrissene Gattung noch im Bewußtsein der Hörer gab. Auch in den nächsten Jahren änderte sich daran wenig. Ein erfolgloses und ein nicht sehr erfolgreiches Preisauschreiben von 1924 und 1927 erweisen neben zahlreichen, seine Entwicklung begleitenden theoretischen Erwägungen das Hörspiel bis in die 30er Jahre hinein als Gattung in statu nascendi.

Dabei galt es zureichst, das Hörspiel vom adaptierten Schauspiel als funkeigene Spielform abzusetzen. Hier unterschied auf einer "Arbeitstagung Dichtung und Rundfunk" 1929 in Kassel Alfred Braun zwischen dem Sendespiel und einem besonderen Hörspiel des Rundfunks, das einzig für die Aufnahme durch das Ohr geschaffen sei, (33) während der Kölner Intendant Ernst Hardt unter Hörspiel eindeutig gesendetes Schauspiel verstand: Das Urelement der dramatischen Partitur scheint mir das Wort, scheint mir die Sprache zu sein, und der Rundfunk bedeutet die Re-lnthronisation ihrer ursprünglichen Macht, die wir fast vergessen hatten. (34) Aus einer solchen Einstellung resultierten zahlreiche Funkbearbeitungen klassischer und moderner Dramenliteratur, die man - Hardt folgend - oft ebenfalls Hörspiel nannte. Sie machten einen wesentlichen Anteil der Hörspielprogramme aus und führten z. B. in Köln zur Ausbildung der berühmten "Klassischen Bühne des Westdeutschen Rundfunks". Neben diesen Dramenadaptionen - deren Geschichte noch zu schreiben wäre - sind die Bearbeitungen epischer Vorlagen zu stellen, die auch heute noch als Sonderform des Hörspiels neben der Funkerzählung von einigen Dramaturgien gepflegt werden. Das Hörspielrepertoire dankt ihnen, vor allem für seine Anfänge, einige seiner hervorragenden Beispiele, so Arnolt Bronnens "Michael Kohlhaas"-Adaption, Kessers "Schwester Henriette" und "Straßenmann", vor allem aber Alfred Döblins "Geschichte vom Franz Biberkopf", nach dem Roman "Berlin Alexanderplatz". Daß sich auch Gedichte als Hörspiel adaptieren ließen, sei mit dem Hinweis auf Erich Kästners "Leben in dieser Zeit" (35) wenigstens angedeutet.

Auf der anderen Seite ist das, was Braun gegenüber dem Sendespiel als das besondere Hörspiel des Rundfunks absetzte, zunächst nur mit zumeist nicht erhaltenen Experimenten zu belegen, sprachen Braun und viele seiner Kollegen von etwas gattungsmäßig noch nicht Gesichertem, theoretisch aber stets Gegenwärtigem. 1926 glaubte Flesch in einem Vortrag über "Kulturelle Aufgaben des Rundfunks" bereits drei Phasen der Entwicklung unterscheiden zu dürfen. Zunächst die Phase einer instrumentalen oder experimentellen Erprobung des neuen unbekannten Instruments, zweitens eine Periode, die gekennzeichnet ist durch die Suche nach einer Rundfunkkunst, und drittens den Weg des Rundfunks als Vermittler. Hier läge seine eigentlich große Aufgabe. (36) Zwei Jahre später stellte der Berliner Intendant Carl Hagemann dem Rundfunk die doppelte Aufgabe:

Er soll erstens gegebene Werte vermitteln. Wir möchten alles aus dem künstlerisch kulturellen Leben der zivilisierten Menschheit mit dem Mikrophon einfangen und durch den Äther schicken können, was irgendeine, die Allgemeinheit fesselnde und dieser ihrer Anteilnahme würdige Bedeutung hat. Er soll uns zweitens eine höchst eigene und eigentümliche Kunstübung schenken. Das ästhetisch psychologische Phänomen des Rundfunks, das die Aufnahme des Dargebotenen allein durch das Ohr vorsieht, kann und muß zu einer neuen und neuartigen Kunstgattung im Gebiete der dramatischen Kunst führen: zum Hörspiel. (37)

1932 schließlich glaubt man Erfolge konstatieren zu dürfen: Das Hörspiel von heute ist in langer, unermüdlicher Arbeit entwickelt worden. Doch schränkte man angesichts der Fortentwicklung von Distributionsapparat und Programm einsichtig ein: Seine jetzige Form wird sicherlich noch nicht die letzte, endgültige sein. (38) Diese Einsicht in die durch die Bedingungen des Mediums mitbestimmte offene Form ist dabei verbunden mit der Einsicht, daß das Hörspiel als Teil des Programms ohne Bezug auf den Hörer nicht zu denken ist. Als funkisches Spiel, gar als Krönung des Funks trage es die Kraft in sich, den zu suchen und zu finden, ohne den der Funk nicht auskommen kann: den ernstverantwortlichen Hörer. (39)

Hörer

Dieser Reflex auf den Hörer hat die Hörspielentwicklung von ihren Anfängen bis heute begleitet. Wie ein roter Faden begegnet uns der Hörer z. B. als fiktive Spielstimme. Bereits in Flesch's "Zauberei auf dem Sender" wird ein anrufender Hörer beschieden, daß man auf Sendung sei. Die Unvereinbarkeit von individuellem, aus dem Augenblick geborenem Hörerwunsch und der Notwendigkeit einer Programmplanung führte 1928 ein Radiosketch des Westdeutschen Rundfunks, "Was sich liebt, das neckt sich. Sorgen der Sendestelle und Wünsche der Hörer", vor in zahlreichen, die Sendung unterbrechenden und gliedernden fiktiven Höreranrufen. (40) Die Diskrepanz von Hörererwartung und Hörspielrealität thematisierte der Anruf einer Frau Jeheimrat Schulze aus Ostpreußen in Karl August Düppengießers Arbeitslosenhörspicl "Toter Mann" (1931), die den Sender auffordert, etwas Vernünftiges zu spielen, von Lienhardt oder von Sudermann oder von Joethe, bzw. angesichts des aktuellen Problems der Arbeitslosigkeit mißversteht:

Es jibt tausend Menschen. denen et jenau so jeht wie diesem Hannes Rader. Stellen Sec ihr Mikrophon auf die Straße, das ist dasselbe. Wir wollen keinen Abklatsch von der Straße. Wir wollen jehoben sein. (41)

Daß genau dies, nämlich mit dem Mikrophon auf die Straße zu gehen, von Hörspielautoren Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre beim sogenannten O-Ton-Hörspiel praktiziert wird, macht diesen fiktiven Anruf hörspielgeschichtlich interessant.

Es liegt bis heute - auch aus Unkenntnis noch zahlreichen Materials - keine genaue Untersuchung derartiger fiktiver Hörerstimmen im Hörspiel vor, doch läßt sich - mit Vorbehalt - eine dreifache Funktion beschreiben.

1. Sollen diese Stimmen dem Hörer in spielerischer Form demonstrieren, daß er den Programmverantwortlichen als Empfänger des Programms durchaus gegenwärtig ist.
2. Thematisieren diese Stimmen die einem Massenmedium eigene Antinomie von individuellem Hörerwunsch und Programmkompromiß für ein Massenpublikum.
3. Scheint sich in diesen Hörerstimmen auch das Dilemma des einkanaligen Kommunikationsprozesses zu spiegeln, bei dem - anders wie im Theater, beim Vortrag - die Rückwirkung von Zuschauer-, bzw. Zuhörerseite ausbleibt, so daß man sich gleichsam als Nothelfer einen künstlichen Hörer ins Spiel abstrahierte.

Dies geschieht z. B. in Hubers "Früher Schnee am Fluß", einem Hörspiel, das Massenexekutionen während des Koreakrieges thematisiert und dabei in der Phantasie des Reporters einen Hörer erscheinen läßt, dem das geschilderte Geschehen den Appetit verdirbt. Statt dessen stellt der Hörer im Spiel am Schluß das Radio aus, weil er das Gequassel nicht mehr hören kann, und wird so zur spielerischen Spiegelung von Höreranrufen, die die Erstsendung von Günter Eichs "Träume" (1951) en masse provozierte und die - damals auf Band mitgeschnitten - der Forschung erhalten sind.

Wo der Hörer nicht als fiktive Stimme anzutreffen ist, ist er in An- und Absagen aufspürbar, ferner in einer Reihe von Hörspielen, die dem Hörer die Aufgabe der Lösung zuweisen. Das fächert von reinen Kriminalhörspielen, bei denen der Hörer bei der Entlarvung der Täter mitwirken soll, über Hörspiele, die den Hörer zu einem Prozeßzeugen machen und ihm derart die Möglichkeit einer eigenen, vielleicht abweichenden Urteilsfindung bieten, (43) bis zu gegenwartsbezogenen Spielen mit offenem Schluß, etwa Eichs "Die gekaufte Prüfung", einem Hörspiel, das den Hörer gleich einleitend auffordert, wie ein Richter das Urteil zu sprechen über Leben und Tod des Angeklagten, wobei über den Fall hinaus eine Selbstbefragung des Hörers mitgemeint ist, denn die Situation unseres Hörspiels [...], so alltäglich sie damals gewesen sein mag, hat Gewicht und verweist auf Fragen, mit denen wir vielleicht noch nicht fertig geworden sind. (44)

Daß Eich für sein Hörspiel zunächst an keinen Schluß dachte und erst nachlieferte, als die zuständige Dramaturgie bei Hausautoren bereits mögliche Schlüsse in Auftrag gegeben hatte, die Ersetzung schließlich des offenen Schlusses durch drei alternative Schlüsse (45) führen in einen konkreten Fall Einfluß und Eingriffsmöglichkeit von Dramaturgien eindrucksvoll vor. Diese konnten über die übliche Aufbereitung des Manuskripts hinaus für die Produktion Hörspielschlüsse völlig verändern, wofür es mehrere instruktive Belege gibt. Im Fall des schon genannten Arbeitslosenhörspiels "Toter Mann" sieht das erhaltene Manuskript vor, daß der Arbeitslose mit seinem Schicksal nicht fertig wird, betrunken unter ein Auto gerät und an den Folgen dieses Unfalls stirbt. Ganz anders das erhaltene Tondokument: Der in seiner Verzweiflung gegen ein Auto gelaufene Arbeitslose befindet sich auf dem Wege der Besserung. Auf einem Rekonvaleszentenspaziergang mit seiner Braut vor der sonntäglichen Stadt trifft er auf eine singende Jugendgruppe: Mit uns zieht die neue Zeit. Es gibt keinen Grund, am Leben zu verzweifeln. Die neue Zeit (von der man allerdings nicht erfährt, wie sie aussieht) erscheint als akustischer Silberstreif am Horizont.

Ähnlich ist der Befund bei Fred von Hoerschelmanns Hörspielerstling "Flucht vor der Freiheit", den Bronnen - schon dem neuen Titel ablesbar - positiv zum "Weg in die Freiheit" umfunktionierte. Zwischen 1931 und 1933 gesendet, lassen sich diese Umschriften ins Happy-End aus dem zeitgeschichtlichen Kontext erklären, in dem die Dramaturgien Hörspiele mit positiven Schlüssen bevorzugten, bzw. im Sinne solcher Schlüsse eingriffen und damit einer spezifischen Hörererwartung entgegenkamen: in einer Krisenzeit die Lösung von Problemen wenigstens für den Augenblick eines Spiels anzubieten. (46; vgl. auch Döhl, Arbeitslosigkeit...)

Diese Hörererwartung las man aus einer, die Geschichte des Hörspiels in unterschiedlicher Intensität begleitenden Hörerpost und zahlreichen gezielten Umfragen heraus. Immer wieder berufen sich die Programmverantwortlichen in ihren Sitzungen auf den Hörer, ein vielschichtig zusammengesetztes Publikum:

Je mannigfacher und zusammengesetzter ein Publikum ist, mit desto größerer Achtung muß es behandelt werden, d. h. desto strenger muß das künstlerische, ästhetische, wissenschaftliche, musikalische, sittliche und ethische Gewissen sein, das wählt. Dies allein ist das programmbildende Gewissen. (47)

Es wäre einer gesonderten Untersuchung wert, aufzuspüren, wie weit dieses programmbildende Gewissen, das durchaus zensorische Dimensionen annehmen konnte, die Hörspielgeschichte in Einzelnem konturiert hat. Ein weiterer Beleg kann neben den geänderten Schlüssen dabei ausreichen. 1927 glaubte die Jury eines Preisausschreibens Arbeiten ausschließen zu müssen, die sehr drastisch Streitigkeiten mit dem Wohnungsamt, die sehr kraß soziales Elend, z. B. die Armseligkeit der Heimarbeit behandelten. (48) Statt soziales Elend aufzuzeigen, die Armseligkeit der Heimarbeit zu schildern, wurde kurze Zeit später in einer Hörfolge die armselige Existenz schlesischer Heimweber in Langenbielau sogar in die Idylle geschönt. Als Bischoff 1931 in dem für die Funkausstellung und Phonoschau in Berlin zusammengestellten "Hörspiel vom Hörspiel" eine Sequenz dieser 'Idylle' vorstellte, ging es ihm in seinem Kommentar konsequenterweise denn auch weniger um Inhaltliches als vielmehr um die Demonstration der Lösung eines technischen Problems, der Einblendung von Original-Ton mit Hilfe der Schallplatte:

Im folgenden hören Sie die Schallplatte als Bericht, als unerläßlichen Bestandteil der Handlung, als Handlung selbst. Die Schallplatte wird als Originalaufnahme aus einem Weberdorf, einem Steinbruch in die Handlung eingeblendet. (49)

1947, 1950 und dann noch einmal 1977 entstanden Hörspiele aufgrund von eigens dazu erbetenen Hörerzuschriften, in denen dem Sender mitgeteilt werden sollte, wie die Hörer einen bestimmten Tag verbracht, was sie an ihm erlebt, erfahren und gedacht hatten. (50) Schon rein quantitativ durch die Fülle der Zuschriften bemerkenswert - 30 000 erreichten im ersten, 80 000 im zweiten und noch 2 600 im dritten Fall den Sender -, zeigen diese Hörspielversuche auch, daß der Hörer, zumindest zu gewissen Zeiten, im Hörspiel eine (vorsichtig formuliert) alltägliche, von ihm überprüfbare Wirklichkeitsgestaltung bevorzugt, daß er den Rundfunk als eigenes Schicksal stellvertretend formulierendes Medium zu schätzen weiß. Derart überprüfbare Wirklichkeitsgestaltung, die durchaus dem Wunsch nach Hilfestellung entsprechen darf, wurde z. B. in "Hörmodellen" praktiziert, die Walter Benjamin zusammen mit Wolfgang M. Zucker verfaßte.

Grundabsicht dieser Modelle ist eine didaktische. Gegenstand der Unterweisung sind typische, dem Alltagsleben entnommene Situationen. Die Methode der Unterweisung besteht in der Konfrontation von Beispiel und Gegenbeispiel. (51)

Benjamins "Hörmodelle", die u. a. das Thema der Gehaltserhöhung, Probleme der Kindererziehung behandelten, dienten, nach der Erinnerung Zuckers, Benjamin zu einer Art 'Knigge', dazu, die Hörer gewisse Techniken des Verhaltens in typischen Konfliktsituationen des modernen Lebens zu lehren. (52) Die oft Mißverständnisse signalisierenden Hörerzuschriften seien grundsätzlich so beantwortet worden, daß Benjamin dem Hörer für sein Interesse gedankt und seinen Einwänden Recht gegeben habe mit der Begründung: Es gehört zum Geschäft der Hörmodelle, daß der Kunde immer Recht hat. (53) Ähnlich argumentiert Benjamin in bezug auf seine anderen, sachbezogenen Hörspiele in dem kleinen Aufsatz "Zweierlei Volkstümlichkeit", wenn er ausführt, es ginge darum, dem Hörer die Gewißheit zu vermitteln, daß sein eigenes Interesse einen sachlichen Wert für den Stoff selbst besitze, daß seine Fragen, auch wenn es vor dem Mikrophon nicht laut werde, neue wissenschaftliche Befunde erfragen. (54)

Benjamins Versuch, den Hörer an das Medium rückzubinden, blieb hörspielgeschichtlich zunächst ohne Folgen, kam aber Ende der 60er Jahre wiederum in Erinnerung im Zusammenhang mit Hörspielen, die auf unterschiedlichste Weise erprobten, den Hörer zu aktivieren, zum Mitspieler zu machen. Allerdings blieben auch diese Versuche einschließlich derer, den Hörer selbst an der Produktion zu beteiligen, (55) nur bedingt erfolgreich; desgleichen Versuche, gesendete Hörspiele mit ausgewählten Zielgruppen (Lehrlingshörspiele mit Lehrlingen; Rentnerhörspiele im Altersheim, Arbeiterhörspiele mit Arbeitern) zu diskutieren und diese Diskussionen im Anschluß in Auswahl zu senden. Doch sind auch sie instruktive Belege dafür, daß der Hörer im Verlauf der Hörspielgeschichte nie aus dem Gesichtskreis der Hörspielverantwortlichen geriet und zumindest als indirekt konstitutiver Faktor dieser Hörspielgeschichte einzurechnen ist. Das ist auch dort mitzubedenken, wo spezielle Programmwünsche in Hörspielform befriedigt werden. Denn der Rundfunk wird die 1924 abgefragten Hörerwünsche in vielen Fällen (durch die entsprechenden Redaktionen) unmittelbar, er kann sie aber in spielerischer Form auch mittelbar erfüllen. Da man im Hörspiel die eigentliche und übergreifende Rundfunk(kunst)form sah, ließ es sich sowohl im Kinderfunk, im Schulfunk, in der Unterhaltung, ja praktisch in allen Programmsparten einsetzen und erfuhr so seine Bestimmung auch als Gebrauchsform, als angewandtes Hörspiel, (56) als spielerische Präsentationsmöglichkeit des Mediums.

Unterhaltungsprogramm und Hörspiel

Ein neben dem anfänglich überschätzten Bildungs-, von Anfang an dominierendes Unterhaltungsbedürfnis (57) der Hörer hatte schnell eine Fülle von Kriminalhörspielen, Science-Fiction-Stücken, Wild-West-Spielen zur Folge, zu denen u. a. Eich für das Berliner Abendprogramm mit "Fährten in der Prärie. Ein Spiel aus der untergehenden Welt Old Shatterhands und Winnetous" ( 1936) und für das Nachtprogramm des NWDR noch einmal 1954 mit "Indianer und Rothäute", einer dreiteiligen Sendefolge, beisteuerte. (58) Vor einigen Jahren machte eine Produktion des Bayerischen Rundfunks einiges Aufsehen, in der Walter Adler und Bernd Lau eine Bearbeitung von Karl Mays "Sklaven der Arbeit" versuchten, einer Vorlage, in der erzgebirgisches Weber-Elend mit den Mitteln der Kolportage gelöst wird. Lebt diese Produktion wesentlich vom Einsatz trivialer Muster, versuchte Peter Chotjewitz mit "Zwei Sterne im Pulver" (1968) spielerisch eine kritische Analyse des Italo-Western.

Auch zwischen Sport und Hörspiel lassen sich die Bezüge leicht herstellen, so bereits 1927 mit Rudolf Leonhards "Wettlauf". (59) Hermann Kasacks "Stimmen im Kampf" (1929) werden durch den Ballwechsel (dies auch der spätere Titel) eines Tennisspiels strukturiert. Zahlreich finden sich Fußball-Hörspiele im Programm, beginnend mit Bronnens "Halbzeit 1:1" (1928), vor allem aber seit Mitte der 60er Jahre mit Arbeiten von Jean Thibaudcau, Ludwig Harig, Ror Wolf, Ferdinand Kriwet. Aber auch andere Sportarten ermöglichen zwischen Sport- und Hörspielredaktion eine Ehe auf Zeit, so das Catchen in Peter Leonhard Brauns Stereofoner Dokumentation "Catch as Catch Can" (1968) oder der Boxkampf, dessen Reportage Eingang findet in Ernst Tollers "Berlin, letzte Ausgabe!" (1930) oder Alfred Andersch's Montage "Der Tod des James Dean" (1960).

Eine besondere Rolle im Bereich des Unterhaltungshörspiels spielen die sogenannten Familienserien mit auffälligen Niveauunterschieden. Sind auf der einen Seite ("Familie Hesselbach") Nachbarschaften zu den berüchtigten amerikanischen "daytime serials" konstatierbar, soll auf der anderen Seite mit unterhaltsamen Mitteln zum Nachdenken angeregt werden ("Familie Wernicke", "Papa, Charly hat gesagt..."). Serien, die in den 80er Jahren durch unsinnig spannende, erfolgreiche Kurzhörspiel-Reihen abgelöst wurden ("Der Frauenarzt von Bischofsbrück", "Lord Lobster"), die anschließend oft noch in Buchform erschienen. (60)

Im Bereich der musikalischen Unterhaltung ließ sich ebenfalls das Hörspiel nutzen in Form der Rundfunk-Kantate (Brechts "Lindberghflug" [1929] mit Musiken von Kurt Weil und Paul Hindemith) oder einer in Breslau erprobten Variante, der "Lyrischen Suite" ("Leben in dieser Zeit", mit Musik von Edmund Nick), die - erfolgreich - von zahlreichen Sendern wiederholt wurde.

Von Marksteinen in der Entwicklung des Hörspielwillens der Schlesischen Funkstunde spricht in diesem Zusammenhang das "Rundfunkjahrbuch 1931" und sieht hier neue Wege zum Hörspiel mit Musik, dem [...] in Zukunft ganz besondere Aufmerksamkeit zugewendet werden wird (S. 138). Daß die Schlesische Funkstunde mit dieser Überzeugung nicht allein stand, beweisen die Eröffnung des "Studios der Berliner Funkstunde" mit einem Hörspielversuch des Komponisten Werner Egk nach Worten von Robert Seitz, "Ein Cello singt in Daventry" (1929) (61) sowie einige Überlegungen des Frankfurter Intendanten Ernst Schoen zum arteigenen Rundfunkhörspiel, die er unter die Überschrift "Musik und Hörspiel" (62) gestellt hatte.

In einem bisher unbekannten Hörspiel, "Das Spiel vom Teufel und dem Geiger. Eine Ballade von Nicolo Paganinis Leben", das Eich zusammen mit A. Arthur Kuhnert verfaßte, wird im Manuskript einleitend genau angegeben, welche Platten in diese Ballade einzuspielen seien. Man kann darüber streiten, ob hier Szenen aus Paganinis Leben mit ausgewählten Schallplatten verbunden werden, oder ob das Ganze nichts weiter als eine biographisch-spielerische Präsentation einer vorgegebenen Plattenauswahl ist: in beiden Fällen rückt das Hörspiel in die Nähe der Wunschkonzerte und damit in einen Bereich, wo Rundfunk und Schallplatte eine probate Zweckehe eingegangen sind, bei der die Schallplattenindustrie Herstellung und Vertrieb ihres Produkts, der Distributionsapparat Rundfunk gewissermaßen die Werbung übernimmt. (63)

Daß eine derart spielerische Präsentation wie für die Musik auch für die Literatur möglich ist, sei hier nur angedeutet. In der Hörspielgeschichte mehrfach belegbar (u. a. bei Eich, "Der Fischzug" und "Der Strom", beide 1950; oder im Weimarer Rundfunk mit Geno Oehlischlägers Hörfolge "In den Spiegeln der Dichter" (1931), nimmt sie typologisch etwa eine Position zwischen Sende- und Hörspiel ein. Diese in der Regel als Auftragsarbeiten - oft nicht einmal für die Hörspielredaktionen - entstandenen Präsentationen lassen sich als Spiegel des Literaturverständnisses in den Funkhäusern werten und haben mit Recht eine Kritik am Kulturvermittler Rundfunk als eines Sämanns bürgerlichen Bildungsgutes, als eines neuen Hauslehrers, versäumte Schulstunden nachholend, (64) herausgefordert. Doch übersieht eine solche Kritik die gegenläufige Tendenz, die in der Aufnahme trivialer Genres etwas anderes will, übersieht eine solche Kritik ein hörspielgeschichtlich so wichtiges Stück wie Benjamins "Was die Deutschen lasen, während ihre Klassiker schrieben" (1932), das auch diesen falschen Bildungsanspruch in Frage stellen sollte. Die Möglichkeit billiger Produktion und damit massenhafter Verbreitung von Literatur, die durch die neuen Drucktechniken im 19. Jahrhundert u.a. via Kolportagebuchhandel neue Leserschichten erschloß, aber auch andere Lesebedürfnisse befriedigen mußte, (65) diese Möglichkeit wurde durch die Massenmedien gleichsam multipliziert, so daß es nur konsequent ist, unter gewissen Voraussetzungen Medienkunde und Trivialliteraturforschung (66) zusammenzurücken, auch in der Hörspielforschung, will sie den Einsatz trivialer Genres im Hörspiel zur Befriedigung eines legitimen Unterhaltungsanspruchs der Hörer, aber auch als Möglichkeit, Kunst dort zu machen, wo sie niemand erwartet, (67) hinreichend erklären. Denn gerade das Hörspiel scheint geeignet, eine Dichotomie von Bildung und Unterhaltung, wie sie dem Rundfunk eigen ist, partiell aufzuheben.

Offene Mischform Hörspiel

Zur partiellen Aufhebung dieser Dichotomie ist das Hörspiel vor allem deshalb in der Lage, weil es von Anfang an mediale Ausdrucksformen sich zu assimilieren verstand. Jeder Sendevorgang im Studio, bemerkte Bodenstedt schon 1929, trägt, sofern es sich nicht um einen Vortrag oder ein Musikstück handelt, [...] die Grundelemente des Sendespiels [= Hörspiels, R.D.] in sich: dramatische Spannung und akustischen Ausdruck (68). Während Bodenstedt als derart hörspielelementare Sendevorgänge das Gespräch, die Funkreportage und schließlich das Hörbild aufzählt, summiert Arno Schirokauer 1933:

Der Begriff Hörspiel gestattet jedem, alles, was er will oder kann, darunter zu verstehen. Daher die siebenjährige und nicht sehr ergebnisreiche Auseinandersetzung. Ist Hörspiel das hörbar gemachte Schauspiel? Die Übersetzung des Seelendramas ins Akustische, wodurch es Leibeserbe der attischen Tragödie würde? Muß es vor dem Mikrophon spielen wie das Schauspiel vor dem Parkett? Muß es überhaupt spielen? Oder ist es Zeitung, die statt Buchstaben Stimmen in die Ohren der Hörer druckt? Vermittelt es Erkenntnisse? Dient es der Belehrung und zugleich der Unterhaltung? Waren Lindberghflug - Leben in dieser Zeit - Magnet Pol - Wetterkantate - Anabasis - Räuberhauptmann Kokosch Hörspiele? Man sendet unter Stimmen aufgeteilte Aufsätze, hymnische Selbstgespräche. überlegte und festgelegte Streitgespräche, Songs, Zwiegesänge, Anrufungen der Elemente, Balladen, Fragegespräche, Auftritte, Hörberichte, Lyriken, Urkunden, Zeugnisse, Belehrungen und Traumdichtungen... das alles gibt es, und es gibt niemanden, der behaupten kann, ein einziger dieser Bestandteile sei für das Hörspiel verboten. (69)

Bei Versuchen, das Hörspiel als offene Mischform zu begreifen, sind solche Überlegungen, die sich bis in die jüngste Zeit auffinden lassen, etwa in der Formel Heißenbüttels: Alles ist möglich. Alles ist erlaubt, (70) durchaus vernünftig, wenn sie davon wegführen, Mischform ausschließlich literarisch zu verstehen. Man muß allerdings das in diesem Zusammenhang gerne zitierte Diktum Döblins genauer lesen, als dies gemeinhin geschieht.

Es ist mir sicher. daß nur auf ganz freie Weise, unter Benutzung lyrischer und epischer Elemente, auch essayistischer, in Zukunft wirkliche Hörspiele möglich werden, die sich zugleich die anderen Möglichkeiten des Rundfunks, Musik und Geräusche. für ihre Zwecke nutzbar machen. (70)

Döblin spricht hier nämlich nicht nur von einer Mischung literarischer Elemente, sondern möchte - in richtiger Einschätzung des Mediums - ausdrücklich auch die anderen Möglichkeiten des Rundfunks für das Hörspiel genutzt wissen. Wie genau dabei die Vorstellungen Döblins waren, wird deutlich, wenn man diese häufiger zitierte 'Definition' wieder in ihren ursprünglichen größeren Zusammenhang stellt. Dabei wird die Benutzung lyrischer und epischer Elemente eingeschränkt durch die Bedingungen des Rundfunks, mündlich zu sprechen oder sprechen zu lassen, und sich auf den lebenden einfachen Menschen der Straße und des Landes einzustellen: diese beiden literaturfremden, funkformalen Ansprüche sind auch literarisch gute Ansprüche. Ich möchte sie als Sanierungseingriffe des Rundfunks in die gedruckte aristokratische Literatur bezeichnen und möchte die Autoren auf diese Eingriffe hinweisen. (72)

Zweitens sieht Döblin richtiger als zahlreiche, den Bildungsauftrag des neuen Mediums betonende Kollegen und Rundfunkleute, daß das Gebiet der geformten Sprache, die Literatur, in Programmauftrag und -angebot erst an dritter Stelle kommt, da ihm ungleich wichtiger als die Literaturverbreitung - angesichts der riesigen [...] Hörermasse - die Verbreitung von Musik weit vorangehe, die. da einfach universeller und allgemein leichter verständlich, [...] die gegebene Kunst des Rundfunks sei. Neben sie trete als zweites wichtiges Gebiet des Rundfunks die Nachrichtenvermittlung, die Journalistik, die gesprochene Tageszeitung. Daß der Rundfunk am schnellsten Nachrichten übermittelt und sie auch rasch ausmünzen kann, sichert diesem Instrument einen ganz besonderen Platz unter den Verbreitungs- und geistigen Wirkungsmitteln. (73)

Wenn Döblin drittens konstatiert, daß die Essayistik durch die Reportage zu einem machtvollen Bestandteil der Rundfunkdarbietungen werden kann, (74) führt dies zur Frage nach Beziehungen von Reportage und Hörspiel bzw. allgemein - da die Reportage wesentlich der Nachrichtenvermittlung, Journalistik, [...] gesprochenen Tageszeitung zugeordnet werden muß - zur Frage, wieweit auch dieser Programmbestandteil das Hörspiel mitbedingt hat.

Nachrichtenmedium und Hörspiel

Der Rundfunk ist seit seiner Vorgeschichte bis heute neben einem Unterhaltungs- wesentlich ein Nachrichtenmedium. das als solches vom Prestige der seriösen Presse zehrt und insofern auch die emanzipatorische Tradition des Journalismus in Anspruch nimmt. (75) Dabei steht die Nachricht in einem Spannungsfeld zwischen Propaganda und Sensation. Ist die subtile Nähe (Schanze) zu ersterer vor allem bei Hörspielen eines staatlich gelenkten, eines Staatsrundfunks von Bedeutung, hat sich im Weimarer Rundfunk vor allem die Nähe zu letzterer zunächst hörspielgenetisch ausgewirkt. Von einer sensationellen Richtung des Rundfunks allgemein hat Flesch schon 1926 gesprochen, die allerdings nur in den Grenzen zulässig sei, in denen der gesunde und natürliche Mensch die Sensation will und braucht. Hierzu rechnet auch der Rundfunk als aktueller Berichterstatter. (76)

Das in diesem Zusammenhang anfallende Material ist so umfangreich, daß eine Beschränkung auf einige Aspekte notwendig ist. Vor allem die frühen Hörspiele lassen sich als Versuche subsumieren, den Hörer zu einem scheinbar zufälligen Ohrenzeugen einer zumeist fiktiven Sensation oder Katastrophe zu machen. Da wimmelt es von Bergwerks-, Schiffs- und Eisenbahnkatastrophen, als hätte der Hörspielautor das Erbe des Bänkelsängers angetreten. Noch 1927 bietet Brecht dem Westdeutschen Rundfunk ein Hörspiel des Typs an: [...] es heißt "Die Geschichte der Sintflut", in naiver Art. Es gehen ziemlich moderne Großstädte dabei unter! (77)

Diese Hörspiele dienten u. a. der Erprobung und Demonstration medium-gebundener Suggestionskraft (Schöning), wobei man glaubte, die Nerven der Zuhörer nur begrenzt belasten zu dürfen. So fiel man bei "Maremoto", dem ersten gesendeten französischen Hörspiel von Pierre Cusy und Gabriel Germinet, mitten in der Katastrophe - einem Schiffsuntergang - aus dem Spiel und diskutierte die Bedingungen der technischen Apparatur, die Qualität der erzeugten Geräusche. In Berlin kam Rolf Gunolds "Bellinzona" gar nicht erst zur Sendung, weil - als Vorlage diente eine konkrete Eisenbahnkatastrophe - nach Braun dem Aktualitätsbedürfnis durch die Erfordernisse des Taktes hier eine Grenze gesetzt gewesen sei. Eine 'technische' Begründung für die nicht erfolgte Sendung gibt der Breslauer Regisseur Fritz Bettauer:

Diese Dichtung, die in der Funktechnik einmal eine ähnliche Stellung einnehmen wird wie die Erstlinge des Naturalismus auf der Bühne, ist im Augenblick für Sendestationen, die sich nicht den Luxus zeitraubender Proben und kostspieliger geräuschtechnischer Apparatur leisten können, nicht zu bewältigen. (78)

Beide Begründungen sind interessant, die Breslauer, weil sie die Abhängigkeit des Hörspiels von Studiobedingungen und technischer Apparatur für einen konkreten Fall benennt, die Berliner, weil sie in einem konkreten Fall die Grenze belegt, über die hinaus Sensation im Rundfunk nicht gehen sollte.

Das mit scheinbarer Realität spielende und derart die Grenzen von Realität und Fiktion verwischende Hörspiel ist bis heute Bestandteil des Hörspielprogramms geblieben, bei z. T. verblüffenden Hörerreaktionen. Hier finden sich im Weimarer Rundfunk mit Erich Ebermayers "Der Minister ist ermordet" (1926) ebenso Belege wie in England und Frankreich. Am bekanntesten wurde Howard Kochs folgenreiche Bearbeitung von H.G. Wells Science-fiction-Roman "The War of the Worlds", die in einer Inszenierung von Orson Welles 1938 mindestens eine Million Hörer in Panik versetzte. (79) Und erst 1981 führte in Eindhoven ein reines Nachrichtenprogramm mit kurzen Spielszenen zwischen wirklichkeitsbezogenen Interviews über die Gefahren eines Atomkrieges zu panikartigen Höreranrufen und Reaktionen. (80)

Eine zweite Phase, einen zweiten Typ der Sensationshörspiele bilden Stücke, die in zeitlicher Nähe zu einem sensationellen Vorgang diesen Vorgang mit den Mitteln des Mediums aufbereiten, darunter seit 1929 eine Vielzahl von Spielen, die Polarforscher, Flieger, Bergsteiger als die letzten großen Helden der Neuzeit (Würffel) feierten und damit einem Publikumsbedürfnis nach identifizierbaren Heldenfiguren entgegenkamen. Wieweit die Bevorzugung dieser gelegentlich auch als Expeditions- oder Pionierhörspiele charakterisierten Stücke möglicherweise auch mit einem Pionierbewußtsein der Rundfunkpraktiker korrespondierte, müßte einmal gefragt werden. Daß sie nicht mehr einfach nur Sensations- und Katastrophenspiele waren, läßt sich in einer Gegenüberstellung schnell verdeutlichen. Stand Möhrings "Sturm über dem Pazifik" (1927) weitgehend noch in der Tradition von "Maremoto", war sein Problem im wesentlichen kein undichterisches, sondern ein akustisches (81) schrieb Friedrich Wolf 1929 sein Hörspiel über die Italia-Katastrophe, weil der Stoff hierzu herausforderte. Stoff meint dabei medienbezogen die Rolle der Technik, des Funks und des Radios bei der Rettung der Italia-Mannschaft sowie ihre ideologische Interpretation:

[...] das alles ist wohl das erste Heldenlied unserer Zeit, unserer Technik, unserer Solidarität. Nicht der Impuls eines Übermenschen. nicht das 'Ethos' eines Religions- oder Staatsgedankens hat dieses Rettungswerk ermöglicht, sondern die von der Technik beflügelte Solidarität der Völker. Sie schloß an diesem lebendigen Beispiel den Ring von dem einsamen Radiobastler an der Murmanküste bis zu der großen Funkstation in Rom. bis zum 'Roten Zelt' der Eisscholle und dem Flieger Tschuchnowski. Es ist eine Tatsache: ohne einen Tag zu zögern hat ein politisch völlig anders gerichtetes System dem gegnerischen System brüderlich geholfen. Und diese Hilfe wurde nur möglich durch das modernste Nachrichtenmittel: durch das Radio! (82)

Interessant wegen seiner Einschätzung des Radios (das auch als Stimme mehrfach in Hörspielen eingesetzt wurde (83)), ist Wolfs Hörspiel wichtig wegen seiner Nähe zur Reportage. Mehrfach lassen sich für die damalige Zeit Reportagen und Hörspiele zum gleichen Ereignis nachweisen, zum Lindberghflug, zur Jungfernfahrt der "Bremen", zur Italia-Katastrophe, lassen sich die entsprechenden Hörspiele dem Bestreben des Rundfunks, aktuell zu sein,(84) leicht zuordnen. Doch stehen in den genannten Fällen nicht nur Reportage und Hörspiel nebeneinander, die Aufbereitung des Stoffes nutzt Eigenheiten der Reportage. Das läßt sich für Wolfs "SOS rao rao Foyn - 'Krassin' rettet 'Italia'" ebenso zeigen wie für Brechts "Lindberghflug", während Hans Leip in "Das blaue Band des Ozeans" Zitate und Anlehnungen aus den, bzw. an die Reportagen von der Jungfernfahrt der "Bremen" nutzt.

Als Drittes müssen in diesem Zusammenhang die 'Entdeckung' des aktuellen Mikrophons und seine Folgen (85) erwähnt werden. Fast wie ein exemplarisches Beispiel für das, was der experimentierfreudige Bischoff bald "Hörfolge" nannte, liest sich das teilweise erhaltene Regiebuch "Überall in Westdeutschland", einer Sendung, die 1929 in Form einer Konferenzschaltung versuchte, einen Gesamteindruck von Westdeutschland zu vermitteln:

Einmal nun soll das Ganze vor uns entstehen. Überall wollen wir sein bei euch zwischen Ems und Rhein, wie unsere Wellen bei euch allen zu Hause sind. Eine gemeinsame Reise wollen wir machen von der alten Domuhr in Münster über das Tosen an der Ruhr bis an den Rebstock am schönen Rhein. Und zugleich wollen wir zwischen den zahlreichen Augenblicksbildern der Wirklichkeit Worte und Töne hören, die wie Fleisch und Blut zu ihnen gehören. (86)

Das Regiebuch sieht den festen Part eines Erzählers vor, der mit vorgeschriebenem Text die einzelnen, frei gestalteten Reportagen 'vor Ort' untereinander, aber auch mit Musikeinspielungen verbindet. Dieses Nebeneinander von Erzähler und Reporter führt zu der Frage nach dem Wechselverhältnis von Reportage und Hörspiel, von Reporter und Erzähler. Denn zwischen beidem, zwischen beiden gibt es nicht nur strukturelle Beziehungen. Ausführungen Bodenstedts schlagen die Brücke:

Durch den künstlerisch mitschaffenden Reporter [...] wurde die Rundfunkreportage zu dem, was sie jetzt ist: Zum Zeittheater im besten Sinne des Wortes. Auf diesem Zeittheater muß der Reporter ein Schauspieler sein. (87)

Man denkt hier außer an Bodenstedt vor allem an Braun, der in Personalunion Reporter, Hörspielregisseur und sogar -autor war von formal wichtigen sogenannten "Akustischen Filmen".

1 Minute Straße mit der ganzen lauten Musik des Leipziger Platzes. 1 Minute Demonstrationszug, 1 Minute Börse am schwarzen Tag. 1 Minute Maschinensymphonic, 1 Minute Sportplatz, 1 Minute Bahnhofshalle, 1 Minute Zug in Fahrt, (88)

beschreibt Braun den schnellen Sequenzenwechsel solcher "Akustischen Filme". Über ihren Inhalt - Braun selbst spricht von einer einfachen, typisch primitiven Kientopphandlung [sic, R.D.] mit Verfolgungen, mit Irrungen, Wirrungen und all den unbegrenzten Möglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, die wir aus den ersten Filmen her kennen (89) - über ihren Inhalt entnehmen wir einer zeitgenössischen Kritik:

Eine rapid springende, über den ganzen Erdkreis gespannte Handlung, die teils durch Dialog, teils durch Töne und Geräusche, Gesang und Instrumentalmusik deutlich gemacht wurde. Sodann die Mannigfaltigkeit dieser Geräusche selbst, erzeugt mit Hilfe der Apparatur eines - damals - neuen modernen Sendesaales, die eine große Zahl von Schauplätzen zu Wasser und zu Lande, in der Großstadt und auf einsamer Südseeinsel wahrnehmbar zu machen suchte. (90)

Es wird in der Hörspieltheorie immer wieder hervorgehoben, daß das Hörspiel sich beliebig in der Zeit bewegen, ständig den Ort wechseln könne. Vor allem das letztere ist dem Zuhörer einer das Geschehen des Tages umfassenden Nachrichtensendung mit ihren ständig wechselnden 'Schauplätzen' geläufig und wird - wie die "Akustischen Filme" zeigen -, mit einer kolportagehaften Handlung lose verknüpft, bereits zum Hörspiel. Als weiteres Beispiel ließe sich an Bodenstedts Großfunkspiel "Der Herr der Erde" denken, das Schwitzke als globale Kolportage abqualifiziert. (91) Daß es nicht einmal einer Handlung, sondern nur eines zentralen, den Zuhörer fesselnden Themas bedarf, dessen verschiedene Aspekte durch einen funkischen Einfall zusammengeschlossen (Bischoff) werden, beweisen so unterschiedliche Stücke wie Bischoffs "Hallo! Hier Welle Erdball!", Bischoffs und F. W. Engels "Menschheitsdämmerung" (1929), Tollers "Berlin, letzte Ausgabe!" (1930) oder Eichs "Eine Stunde Lexikon" (1933).

Braun berichtete auf der schon genannten "Arbeitstagung Dichtung und Rundfunk" von den Berliner Bemühungen um den "Akustischen Film". Auf derselben Tagung verwies Döblin auf die Bedeutung der Reportage, diskutierten die Teilnehmer zur Frage des Erzählens im Rundfunk die Rolle des Reporters, dem Hans Kyser bescheinigte, daß er es eigentlich sei, der das große Märchen unserer Zeit erzähle. (92)

Spätestens seit damals begegnen im Hörspiel immer wieder Stimmen, die eindeutig als Reporterstimmen ausgewiesen sind oder sich leicht als solche erkennen lassen, etwa in Kessers "Straßenmann" (1930), dessen Erzähler in einer funkszenischen Einführung als erzählendes Instrument als sprechendes Auge umschrieben wird. (93) Besondere Beachtung verdienen die in O-Ton-Hörspielen gelegentlich auftauchenden Reporterstimmen, weil sie zitiertes Medium sind. Bei einer für das O-Ton-Hörspiel zentralen Unterscheidung von gesprochener veröffentlichter und gesprochener nichtveröffentlichter Sprache, (94) von - im Sinne einer Soziolinguistik - elaboriertem und restringiertem Code, stehen sie für die gesprochene veröffentlichte Sprache und werden meistens dort eingesetzt, wo es um kritische Analyse des Mediums geht; politisch witzig z. B. einleitend zu Ludwig Harigs "Staatsbegräbnis" [1969]).

Zensur

Das bisher Ausgeführte belegt hinreichend, daß und wie sehr das Hörspiel als offene Mischform durch alle drei Bestandteile des Programms - Nachricht, Unterhaltung und Kultur - in seiner Entwicklung mitbedingt ist, angesiedelt ist in einem durch diese drei Programmbestandteile formal und inhaltlich determinierten Spannungsfeld. Wie das Gesamtprogramm ist dabei auch das Hörspiel Richtlinien unterworfen, die in der Regel erst dann wahrgenommen werden, wenn sie den Charakter der folgenreichen Kontrolle, der Zensur annehmen. Sie ist eine weitere wichtige Bedingung des Hörspiels, wobei zwischen einer funkinternen und einer funkexternen Kontrolle bzw. Zensur zu unterscheiden wäre.

Welche Eingriffe Dramaturgien vornehmen können, ist bereits angedeutet. Sie können Manuskripte ablehnen. Das ist bei der Auftragssituation, die überwiegend das Verhältnis Dramaturgie-Autor bestimmt, zwar nicht sehr häufig, kann aber, wie Gunolds "Bellinzona" belegt, hörspielgeschichtlich wichtige Texte betreffen. 1950 wurden die berühmten "Träume" Eichs im Rahmen eines Preisausschreibens beim Bayerischen Rundfunk eingereicht, dort abgelehnt und erst 1951 vom Nordwestdeutschen Rundfunk gesendet. Peter Hirches mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnetes "Miserere" brachte gar eine wahre Odyssee durch mehrere Dramaturgien hinter sich, bis 1965 der Westdeutsche Rundfunk seine Inszenierung wagte.

Ist ein Hörspieltext erst einmal angenommen, wird er für die Realisation vorbereitet. Hier sind eine Vielzahl von - oft mit dramaturgischer Notwendigkeit begründeten Eingriffen möglich, die eine Vorlage in ihrer Absicht völlig umdrehen können, z.B. Hoerschelmanns "Flucht vor der Freiheit" zu Bronnens "Weg in die Freiheit". Hinzu kommen mögliche weitere Manipulationen durch rigoroses Einstreichen des Textes, so in Döblins "Geschichte vom Franz Biberkopf", deren Inszenierung die einleitende wichtige Hiob-Parallele zum Opfer fiel.

Funkextern übten vor allem die Überwachungsausschüsse ihre hörspielgeschichtlich durchaus folgcnreiche Kontrolle. 1926 bereits durch einen Erlaß des Reichsministeriums des Inneren eingesetzt, verfolgten sie seit 1930 einen immer rechtslastigeren Kurs. Für ihre Tätigkeit einige Beispiele: 1927 teilte ein Mitglied des für Hamburg zuständigen Ausschusses auf Anfrage mit, daß gegen ein Abspielen der Marseillaise in Franz Werfcls "Juarez und Maximilian" keine Bedenken bestünden. Im gleichen Jahr werden aus dem für eine Übertragung für ein Kinderlager vorgesehenen Programm fünf Märchen ausgeschieden mit der Begründung, durch die Häufung von Märchen, die alle eine bestimmte soziale Schicht behandelten, könne eine Tendenz entstehen. (96) Für die Jahre 1930 bis 1933 sind eine Reihe von Hörspieltexten zu nennen, vor allem aus dem Umkreis des "Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller", von denen bekannt oder anzunehmen ist, daß sie Rundfunkanstalten vorgelegen haben, jedoch abgelehnt oder nach Einspruch nicht realisiert wurden, so Georg W. Pijets "Mietskaserne" (1930), von der aber wenigstens eine Sequenz gespielt wurde, oder Ernst Ottwalds "Kalifornische Ballade", die 1932 mit einer Musik von Hanns Eisler vorgelegen haben dürfte. (97)

Mißtrauen und Nachforschen empfiehlt sich auch dort, wo sich Termine angekündigter Sendungen verschieben oder kurz vor der Sendung der Regisseur wechselt. Eine Terminverschiebung gab es z.B. bei Tollers "Berlin, letzte Ausgabe!", weil der für die Überwachung der Berliner Funk-Stunde und der Deutschen Welle zuständige Ministerialrat Scholz erst heim Auswärtigen Amt anfragen mußte, ob man dort gegen dieses Hörspiel, soweit darin die Abrüstungsfrage behandelt werde, Bedenken hege, und erst nach dieser Rückversicherung der Funk-Stunde mitteilte, daß er trotz starker Bedenken gegen die Tendenz des Stückes und einzelne der darin enthaltenen Darstellungen von einem Einspruch gegen die Sendung absehe. (98) Massive Manuskriptangriffe und einen Regisseurwechsel kurz vor der angekündigten Sendung gab es bei Döblins "Geschichte vom Franz Biberkopf", von der wir inzwischen wissen, daß sie - trotz erhaltenen Tondokuments - im Weimarer Rundfunk nicht mehr gesendet wurde. (99)

Funkinterne und funkexterne Kontrolle bzw. Zensur weisen ein relativ breites Begründungsspektrum auf, das von einem gleichsam akustischen Takt bis zu politischen Bedenken reicht, die aus dem historischen Abstand oft merkwürdig berühren. Etwas vergröbert werden dabei in der Regel der unmündige Hörer, eine heterogenes Massenpublikum vorgeschoben. Dazu lieferte auch die "Arbeitstagung Dichtung und Rundfunk" eine bemerkenswerte Reihe von Äußerungen, u. a. Döblins, der dem Autor eine Art Eigenzensur empfiehlt:

Aus der ,großen Masse' folgt übrigens eine bestimmte Haltung des Autors; er hat diese Verpflichtung auch im Buch und im Theater, dort ist der Verleger, der Direktor; hier ist Zensur. Ich denke, die Autoren werden von sich aus die richtige Einstellung auf die Masse vornehmen können. (100)

Im gleichen Jahr argumentiert Ministerialrat Scholz:

Die Hörer sind nicht reif, eine nach einer Seite hin zugespitzte Meinung zu hören. Die Hörer revoltieren, wenn ihnen Meinungen vorgesetzt werden, die den ihren zuwiderlaufen. Der Hörer selbst verlangt vollkommene Neutralität, er ist zu ungeduldig, um einen zweiten Vortrag abzuwarten, der dann auch seine eigene Meinung vertritt. Kurz, der Hörer selbst verlangt den verwaschenen, behutsamen, charakterlosen 'goldenen Mittelweg'. Niemand bedauert es mehr als die Zensoren selbst. Und sie betrachten es als ihre Aufgabe, den Hörer langsam, langsam, vorsichtig, nur nicht übereilt, zu größerer Sanftmut zu erziehen. (101)

Diese merkwürdige Aufgabenstellung nennt das Hörspiel zwar nicht explizit, betrifft aber das Hörspiel indirekt mit, da es als Teil des Gesamtprogramms sich - wie die Praxis der Überwachungsausschüsse beweist - ebenfalls diesem Zwang zum goldenen Mittelweg unterordnen mußte. Christian Hörburger, der dem Problem der Hörspiel-Zensur als einer der ersten weiter nachgegangen ist, kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, daß gerade bei einer Kunstform wie der des Hörspiels [ . .] die Anpassung an die Normen des akustischen Mediums um so reibungsloser funktionieren [mußte], als das Hörspiel einerseits mit den technologischen Gegebenheiten des Rundfunks in Einklang zu bringen war, gleichzeitig aber der mögliche Spielraum durch die Sachverwalter des Rundfunks jederzeit neu bestimmt und reglementiert werden konnte. (102)

So daß das Hörspiel - dies eine weitere Bedingung - auch zwischen der Skylla eines Programms, das nicht zuletzt die Aufgabe hat, Apparate zu verkaufen, und der Charybdis einer immer einseitigeren Programmüberwachung hindurchmußte und -muß.

Zwar gibt es nach dem Zwischenspiel des total kontrollierten Rundfunks und einer zeitweiligen Zensur durch die Besatzungsmächte die Überwachungsausschüsse des Weimarer Rundfunks nicht mehr. An ihre Stelle sind Rundfunkräte getreten, die aber - wie sich belegen läßt - durchaus Einfluß auf das Programm nehmen können, so daß in abgeschwächter Form eine funkexterne Kontrolle gewährleistet bleibt. Nach wie vor gibt es eine Art Selbstzensur durch die Programmrichtlinien innerhalb der einzelnen Rundfunkanstalten, aber auch innerhalb der einzelnen Hörspieldramaturgien, nicht zuletzt bestimmt von einem subjektiven Vorverständnis von Hörspiel und Literatur, von Hörspiel als Literatur, das in den seltensten Fällen die komplexe Reflexion der Gattungsgenese und der Programmbedingungen miteinschließt. Mit Chotjewitz' "Die Falle oder die Studenten sind nicht an allem schuld" (1969) und Harigs "Staatsbegräbnis" weist auch die jüngste Hörspielgeschichte zwei auf Einspruch von Außen indizierte Hörspiele auf.

Regie

Und noch eine letzte Bedingung muß hier wenigstens gestreift werden: die Regie. Zu den Aufgaben einer Dramaturgie gehört auch, den Regisseur zu bestimmen. Dabei besteht in der Regel die Wahl zwischen sogenannten Hausregisseuren und freien Regisseuren. Je nach Einschätzung des Textes und aus seiner Kenntnis vorliegender Regien wird der Dramaturg diese Wahl vornehmen, wobei der Regisseur natürlich die Möglichkeit hat, abzulehnen. Das hat im Falle von Christa Reinigs "Das Aquarium" (1967) dazu geführt, daß das Hörspiel beinahe ganz abgelehnt worden wäre. Nur das hartnäckige Suchen des von der Qualität des Manuskripts überzeugten Dramaturgen fand schließlich doch noch einen Regisseur, in dessen Realisation das Stück dann sogar den Hörspielpreis der Kriegsblinden zugesprochen bekam und bis heute zu den meistgespielten Hörspielen der ARD gehört.

In vielen Fällen hat sich gezeigt, daß die Autoren, soweit sie Produktionen ihrer Hörspiele überhaupt abhören, mit der akustischen Realisation ihres Manuskripts wenig einverstanden waren, so daß sich seit Mitte/Ende der 60er Jahre die Tendenz beobachten läßt, Autoren - soweit sie dazu willens und in der Lage sind - selbst Regie führen zu lassen. Man kann in diesen Fällen bei Hörspielen von Richard Hey, Martin Walser, Dieter Wellershoff, Franz Mon, Mauricio Kagel (um wenigstens einige zu nennen), vor allem aber bei O-Ton-Hörspielen von authentischen Realisationen sprechen. Wie wertvoll für die Forschung, und zuerst natürlich für den Hörer derart authentische Realisationen sein können, macht ein abschließender Blick auf das Hörspielwerk Eiche schnell einsichtig. Dessen zahlreiche Fassungen lassen sich nämlich auch erklären aus einer zunehmenden Irritation und Verärgerung des Autors angesichts zahlreicher verfehlter Inszenierungen und daraus resultierender Fehleinschätzungen seiner Intentionen. Wieweit die zahlreichen Inszenierungen Eichscher Hörspiele an seinen eigentlichen Intentionen vorbeigespielt und damit zu einem öffentlichen Eich-Bild mit beigetragen haben, das bis heute nur in Ansätzen korrigiert wurde, dies zu untersuchen, ergäbe ein besonderes Kapitel deutscher Hörspielgeschichte. (103)

Den Hörer. dessen Hörspielverständnis durch die ihm im Haus gelieferten Realisationen wesentlich mitgeprägt wird, zum mündigen und kritischen Hörer zu erziehen, ist auch heute noch eine ungelöste Aufgabe. Versuche seiner Aktivierung, die unser Überblick genannt hat, sind, nicht zuletzt wegen der Einkanaligkeit des Mediums, Tropfen auf den heißen Stein.

Anmerkungen
[werden nachgetragen]





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