Die Farben des Regenbogens. Fußnote zu den
Bildern Atilas
Vom Concreten zum Mythos Reinhard Döhl
Die Farben des Regenbogens. Fußnote zu den Bildern Atilas
Der Maler Atila hat die Palette des Regenbogens. Aber auch seine Farben sammeln sich nicht in den Behältnissen unserer Vernunft. Bevor sie die Erde berühren, bilden sie Tropfnasen. In diesen Tropfnasen versucht Atila, sich zu erinnern. Atila versucht sich zu erinnern, indem er - wie Kinder - die Tropfnasen weitermalt, ausmalt, in etwas zu überführen versucht, was ihn an etwas erinnert: in figürlicher Andeutung, amöbenhaft, gespenstisch, chimärengleich dem Pfropfbastard, der aus Zellen verschiedener Arten besteht. Das erinnert an Figuren Miros und ist doch nicht die Welt seiner Bilder, das sieht aus wie eine Antes-Figur und ist es doch nicht. Atilas angedeutete Figuren leben in einem Zwischenbereich zwischen Regenbogen und Erde, zwischen Unschuld und Realität in einer Welt des Déjà-vu, die sich nicht aufschließt. Der Maler Atila ist so etwas wie der erwachsen gewordene kleine Junge, der sich noch einmal aufmacht, die Farben des Regenbogens aufzufangen. Der Betrachter der Bilder Atilas könnte einer sein, der sich an die Kindergeschichte erinnert und zwischen Regenbogen und Erde auf einen Maler trifft. [1976] Vom Concreten zum Mythos Eine zweite zentrale Bildschicht der Arbeiten Atilas ist die Anspielung technischer Zivilisation. Auch sie begegnet nicht in planer Abbildung ihrer realen Erscheinungsweisen, sondern in Abbreviatur und merkwürdiger Künstlichkeit, wobei die Welt des Fliegens, der Raumfahrt bis an die Grenze zur Science-fiction seit Ende der 70er Jahre zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wie ernst Atila diesen futurologischen Aspekt meint, könnte ein Schlüsselbild aus dem Jahre 1982 belegen, das Atila "Du fond de l'avenir" (Vom Grund der Zukunft) getitelt hat. Als Kurzschluß läge jetzt die Vermutung nahe, Atila versuche mit diesen beiden zentralen Bildschichten zwei Urfragen zu bündeln: die Frage nach der Herkunft des Menschen und den Mustern, die sein Fühlen und Denken, sein Verhalten im Grunde bestimmen, und die Frage: wo gehen wir, wo führt das hin? Aber so einfach bündelt sich das nicht. Wenn die alten Babylonier, Ägypter, Griechen zum Sternenhimmel aufschauten, sahen sie in den Tierkreiszeichen göttliches Wirken symbolhaft ausgedrückt. Aus ihrem bewundernden Anschauen heraus entstanden die Mythen. Dem Menschen der technischen Zivilisation, der sich seinen alten Wunschtraum vom Fliegen längst erfüllt hat, sind die Sterne zum Greifen nahe gerückt. Aber das in den Mythen um sie eingeschlossene Wissen hat er verloren. Und die Zukunft ist ungewiß. Aus dieser Erfahrung des Mythenverlusts, aus der Angst vor der Zukunft Bezieht Atilas künstlerische Produktion primär ihre Spannung. Und Atila versucht das Unmögliche, wenn er versucht, beides im zerbrochenen Regenbogen noch einmal zu verbinden. Daß er mit seiner Hilfe, und d.h. mit ästhetischen Mitteln zugleich versucht, seine Hoffnung auf eine neue Mythologie zu artikulieren, ist die mich provozierende Absurdität einer Kunst, deren entscheidenden Schritt Atila einmal den Schritt "vom Concreten zum Mythos" genannt hat. [November 1985] |